PropertyValue
rdfs:label
  • Die Geschichte einer Reisenden
rdfs:comment
  • In einer versteckt gelegenen Bar, die noch nie ein Mensch unerlaubt betreten hatte, sitzt eine bildschöne, junge Dame und starrt Löcher in den Tresen. Ihre Hände liegen verkrampft auf ihrem Schoss, das aufreizende schwarze Kleid sitzt an ihrer Brust viel zu locker, während es kaum die Oberschenkel bedeckt. Sie war erst letzte Nacht in der Stadt angekommen, hatte sich saubere Kleidung geliehen und bei einer alten Freundin übernachtet. Am nächsten Morgen hatte sie schon wieder aufbrechen wollen, doch stattdessen wurde sie zum Bleiben überredet. Vielleicht ist es besser so, wenn ich mich erst beruhige, denkt sie sich unsicher. Um sie herum herrscht Lärm, alle Gäste reden laut durcheinander. Wenn sie es wollen würde, könnte sie jedes einzelne Gespräch belauschen, so empfindlich sind ihre Ohren
dcterms:subject
abstract
  • In einer versteckt gelegenen Bar, die noch nie ein Mensch unerlaubt betreten hatte, sitzt eine bildschöne, junge Dame und starrt Löcher in den Tresen. Ihre Hände liegen verkrampft auf ihrem Schoss, das aufreizende schwarze Kleid sitzt an ihrer Brust viel zu locker, während es kaum die Oberschenkel bedeckt. Sie war erst letzte Nacht in der Stadt angekommen, hatte sich saubere Kleidung geliehen und bei einer alten Freundin übernachtet. Am nächsten Morgen hatte sie schon wieder aufbrechen wollen, doch stattdessen wurde sie zum Bleiben überredet. Vielleicht ist es besser so, wenn ich mich erst beruhige, denkt sie sich unsicher. Um sie herum herrscht Lärm, alle Gäste reden laut durcheinander. Wenn sie es wollen würde, könnte sie jedes einzelne Gespräch belauschen, so empfindlich sind ihre Ohren. Doch momentan vermischen sich all die Stimmen zu einem dumpfen Rauschen, das sie kaum wahrnimmt, da ihre Gedanken bereits alles vereinnahmen. „... n. …na!“, plötzlich übertönt eine bekannte Frauenstimme den tosenden Chor und sie blickt auf. „Was hast du gesagt, Linda? Es tut mir leid, ich habe nicht zugehört“, gibt das Mädchen schuldbewusst zu. Linda, die Inhaberin des Lokals, welche wie immer hinter dem Tresen steht, ist eine große, kurvige Frau mit schmaler Taille und prallem Dekolletee. Seufzend schüttelt sie ihren Kopf, wobei ihre schulterlangen pinken Haare in alle Richtungen fliegen. Ein Mensch hätte denken können, dass sie gefärbt sind, doch tatsächlich ist alles an dieser Frau natürlich. Nur menschlich ist sie nicht, genau so wie alle Besucher dieses Ortes. Der grünäugige Succubus wiederholt seine Worte geduldig: „Ich habe gefragt, ob es dir nicht gut geht, Anna.“ „Du siehst traurig aus“, mischt sich eine andere Person zu ihrer Rechten ein. Der Junge mit den strubbeligen braunen Haaren, äußerlich kaum älter als sie selbst, blickt sie mitfühlend an. Seine verschiedenfarbigen Augen, eines rot das andere gelb, zeichnen ihn als Mischling aus. Zur Hälfte ist er, was auch sie ist, mit dem Unterschied, dass er bereits als Blutsauger geboren wurde. Der Rest seiner DNA stammt von den Wesen, die immer als Feinde der Vampire betitelt werden: Werwölfe. Ein dummes Gerücht, das sich in Windeseile verbreitet hatte und bald als wahr angesehen wurde. Die beteiligten Parteien hingegen konnten herzlich darüber lachen. Anna reißt sich von seinem Gesicht los und tut so, als würde sie die Einrichtung betrachten. „Es ist alles in Ordnung, macht euch keine Sorgen.“ „Du lügst.“ Lindas knappe und beiläufige Antwort bohrt sich wie ein spitzer Pfeil in ihre Brust, ihr Kopf wirbelt aufgebracht herum: „Das ist doch-“ „Schätzchen, du guckst gerade wie einer dieser Typen, die mir weismachen wollen, dass sie keine Frau haben. Sei ehrlich zu dir selbst.“ Neben ihr nickt der Junge, Wolfi, wie sie ihn liebevoll nennen, zustimmend: „Du kannst uns alles erzählen, wir kennen uns doch schon lange.“ Annas Zähne knirschen, während sie ihre besorgten Blicke meidet. Mitgefühl ist das Letzte, das sie nun braucht, den am liebsten würde sie einfach alles vergessen. Sie setzt zu einer Antwort an, als sie etwas hinter Linda bemerkt. Ihre Augen weiten sich schockiert, eisige Kälte breitet sich in ihrem Körper aus. Verdutzt folgen ihre Freunde ihrem Blick, hin zu dem kleinen Fernseher, wie er oft in Kneipen zu finden ist. Linda greift nach der Fernbedienung und stellt den Ton an, augenblicklich ist es still und alle Gäste starren neugierig auf den kleinen Bildschirm, der ein rotes Auto in einem verschneiten Wald zeigt. Anna lauscht ungläubig der monotonen Stimme der Reporterin: „In diesem abgelegenen Waldstück hat sich vor Kurzem ein grausamer Mord ereignet, welcher uns alle zutiefst schockiert. Das Opfer konnte nur mit Mühe identifiziert werden, es handelt sich um den 34-jährigen Markus Schneider, der von Freunden und Familie nur Mark genannt wurde. Zuerst ging man davon aus, dass der Täter ein wildes Tier gewesen sein muss, denn die Leiche wurde komplett zerfetzt und entstellt aufgefunden. Berichten zufolge sind die Einzellteile des Opfers von Kratz- und Bissspuren gezeichnet, dennoch steht fest, dass als Täter nur ein Mensch in Frage kommt. Falls Sie irgendwelche Informationen diesbezüglich haben, wenden Sie sich bitte an...“ Anna zittert merklich, ihre Haut hat jegliche Farbe verloren. Sie kann spüren, wie sich dutzende Augenpaare stechend in ihren Rücken bohren. Sie wissen es. Nun wissen alle, was sie Schreckliches getan hat. Noch während sie stumme Gebete spricht, hört sie den ersten Knall, dann eine Zweiten und Dritten, bald fallen alle johlend mit ein. Sie... applaudieren? Warum klatschen sie?! Gehetzt wirft sie einen Blick über ihre schmalen Schulten und tatsächlich, die Anderen lächeln zustimmend, einige nicken anerkennend. Einige der Anwesenden sehen ihr in die Augen und lächeln. Und dann ist es zu viel für sie. Die ganze Situation ist falsch und sie kann gerade noch die Hände über ihre Augen legen, bevor die Tränen wieder fließen. „Hört auf“, flüstert sie kraftlos, „Bitte macht es nicht noch schlimmer. Aufhören.“ Die Menge hört ihre schwachen Worte nicht, die ausgelassene Stimmung übertönt ihren Schmerz. Dann sackt sie schluchzend auf ihrem Hocker zusammen und wartet einfach nur, wünscht sich, dass der Beifall stoppt. Nur Sekunden später übertönt ein ohrenbetäubendes Knurren den Aufruhr. Wolfis Augen funkeln wutentbrannt, als er seine plötzlich ungewohnt laute, fast schon bedrohliche Stimme erhebt: „Schnauze halten. Was seit ihr eigentlich für Leute, seht ihr denn nicht, wie beschissen es ihr geht?“ Die Gäste verstummen und betrachten Anna erstmals richtig. Sie nimmt die gemurmelten Entschuldigungen nur am Rande war, als Linda unauffällig zum Hinterzimmer zeigt. Mit schlotternden Beinen steht sie auf, wäre gestürzt, wenn Wolfi sie nicht sanft am Arm gefasst hätte. Die Tür schließt sich hinter ihr und sie lässt sich müde auf die alte Couch fallen, die, neben einem Sessel und einem niedrigen Tisch, das einzige Möbelstück in dem schummrigen Zimmer ist. „Süße,“, beginnt Linda, nachdem sie auf der Lehne Platz genommen hat, „willst du jetzt immer noch leugnen, dass was nicht stimmt?“ „Oh Gott, ich habe ihn umgebracht. Ich habe einen Menschen getötet“, stottert Anna entsetzt, während sich alles wieder vor ihrem inneren Auge abspielt. Das Zögern dauert nur einen kurzen Moment, dann erzählt sie ihnen alles, was vor wenigen Tagen passierte. Von Markus und seine kalten Finger, die ihr zu nahe gekommen waren. Diese falschen Worte, die er ihr entgegen geworfen hatte, klingen noch immer in ihren Ohren nach. Sie hatte die Kontrolle verloren, hatte einfach instinktiv zugebissen, als er sich über sie beugte, genau wie ein verängstigtes Tier, dass man in die Ecke drängt. Er hatte geschrien wie am Spieß und um sich geschlagen, wodurch Anna völlig wild geworden war und ihre Zähne sich so kraftvoll in seinen Hals bohrten, dass es ihn komplett zerdrückte. Sein Leben war augenblicklich erloschen, begleitet von einem lauten Krachen, als seine Wirbel zertrümmert wurden. Nachdem Anna wieder zu sich gekommen war, zerriss sie die Leiche in Stücke, aus Furcht davor, dass er zurückkommen könnte. „Passiert“, entgegnet Wolfi achselzuckend, nachdem ihr Bericht endet. „Passiert?! Verdammt, er ist tot, verstehst du das nicht?“ Anna blinzelt perplex, realisiert, wie unwirsch diese Äußerung ist. Noch bevor sie zu einer Entschuldigung ansetzen kann, wird sie von Linda unterbrochen: „Wie kommst du eigentlich darauf, dass er zurückkehren könnte? Dann müsstest du ja von irgendwelchen adeligen Vollblutvampiren abstammen. Du weißt doch sicherlich, wie das läuft... Die Blutsauger von Heute können doch niemanden verwandeln. Und vor allem nicht du als ehemaliger Mensch.“ „Außer natürlich, sie wäre ein Abkömmling von den Ältesten“, fügt Wolfi scherzhaft hinzu. Der Mischling und der weibliche Dämon lachen schallend, während Anna rot anläuft. Ihr ernster Blick wird bemerkt, und er murmelt ungläubig: „Das bist du nicht, oder?“ Sie starren Anna unverhohlen an, bis diese ein leises „Doch“ flüstert. Die Tatsache, dass den Zweien in perfekter Synchronität die Kinnlade herunterklappt, könnte amüsant sein, wäre die Situation nicht so ernst. Linda sammelt sich als Erste wieder, während Wolfi noch sein tödliches Raubtiergebiss präsentiert. „Das hast du uns nie erzählt.“ „Ihr habt nie gefragt.“ Sie schaut verlegen auf ihre Füße, während sie die Stimme des Jungen hört: „Wo ich so darüber nachdenke... Du hast und noch nie irgendetwas über deine Vergangenheit erzählt.“ Sie blockt sofort ab: „Das ist eine lange Geschichte.“ „Süße, wir haben Zeit. Moment, ich mach uns Tee...“ Eine Viertelstunde später sitzen die Drei, den warmen Kräutersud in den Händen haltend, am Tisch. Inzwischen konnten sie Anna irgendwie dazu überzeugen, ihnen ihre Geschichte zu erzählen, auch wenn diese alles andere als begeistert dreinschaut. „Na gut... Aber unterbrecht mich bitte nicht, Fragen könnt ihr später noch stellen.“ Ihre Brust hebt sich sacht, als sie tief einatmet und, auf die zustimmenden Blicke ihrer Freunde hin, von ihrer Vergangenheit berichtet: „Es begann alles vor vielen, unzählig vielen, Jahren. Ich wurde in eine Familie von Jägern geboren. Ja, genau die, an die ihr denkt: Leute, die Wesen wie uns hinrichten. Mein Vater war ein gefürchteter Krieger und meine Mutter versorgte die Verwundeten. Natürlich wusste ich das damals noch nicht. Ich muss gerade einmal sechs Jahre alt gewesen sein, als sich alles änderte...“ „So war das damals“, endet Anna ihre Geschichte. Der Tee ist schon längst getrunken, von Draußen kommt nicht ein einziger Lichtstahl herein. „Was ist dann passiert?“, erkundigt sich Wolfi interessiert. „Die ersten Wochen habe ich jeden Tag geweint und mich unter der Decke verkrochen, während ich nach meinen Eltern rief. Ich hatte Angst vor diesen Wesen, habe sie gehasst... habe ihn gehasst. Doch irgendwann begriff ich, dass ich weiterleben musste, auch für sie. Ab diesem Moment sah ich meine neue Gesellschaft mit anderen Augen: Ich erkannte, dass sie nicht anders waren, als ich. Sie wollten nur ihre Lieben beschützen und in Freiheit leben. Sie konnten Gefühle wahrnehmen, spürten Liebe, Hass und Trauer, so wie ich. Der Graf wurde so etwas wie ein Ersatzvater für mich. Eigentlich wurden wir alle wie eine große Familie. Naja, bis auf Neil und Siren... Hatte ich ihren Namen überhaupt erwähnt? Sie ist das Mädchen, dessen Lachen mir damals Schauer über den Rücken jagte. Jedenfalls kann ich die Beiden bis heute nicht leiden und sie mich umso weniger. Neil hat mich irgendwie akzeptiert, nachdem ich letztendlich zu dem wurde, was ich heute bin. Aber Siren sieht mich immer noch wie einen Menschen. Sie hat mich sogar mehrmals angegriffen, aber immer, wenn er bei mir war, traute sie sich nicht. Wir haben uns vor vielen Jahren getrennt, da eine so große Gruppe von Vampiren auf Dauer zu auffällig gewesen wäre. Ich ging mit dem Grafen und habe seit diesem Tag nichts mehr von den andern gehört. Und nun musste ich sogar ihn verlassen, da die Jäger uns auf die Schliche gekommen sind. Er hat sie fortgelockt, damit ich in Sicherheit bin.“ Anna zieht den Brief hervor und reicht ihn ihren Freunden. „Das hat er mir kürzlich geschrieben“, erklärt sie. Die Zwei lesen nacheinander die Worte, die er in gestochen feiner Handschrift verfasst hatte. Dann pfeift Linda beeindruckt: „Süße, ich hatte ja keine Ahnung, dass du diesen Typen kennst. Das ist echt 'ne starke Sache.“ Der junge Mischling fügt hinzu: „Und jetzt willst du ihn treffen? Also, wann willst du weiterziehen?“ „Morgen bei Sonnenuntergang.“ Anna gähnt herzhaft und gewährt einen Blick auf ihre scharfen Reißzähne. Vor Menschen musste sie sich zusammenreißen, doch hier konnte sie sie selbst sein. „Aber zuerst sollte ich mich ein wenig ausruhen.“ Sie reden noch eine Weile, dann geht Anna in das Gästezimmer, das ihr überlassen wurde. Erschöpft vom vielen Reden wirft sie sich auf das Bett, dass mit einem leisen Knarren antwortet. Obwohl es noch tiefe Nacht ist, fallen ihre Augen wenige Sekunden später zu. Sie träumt von ihm, wie er sie, vom Blut ihrer geliebten Eltern bedeckt, auf den Arm nimmt. Dann davon, wie er sie immerzu vor den anderen Kindern geschützt hatte. Sie war nie besonders beliebt bei ihnen, solange sie noch ein Mensch gewesen war. Auch der Tag, an dem ihr eigentliches Leben endete, ihren 16. Geburtstag, erlebte sie erneut. Der Schmerz und der Durst, die sie nach dem Aufwachen überrollten, waren unerträglich gewesen, doch inzwischen konnte sie Letzteres besser kontrollieren. Immer wieder sieht sie sein lächelndes Gesicht und erinnert sich an die vielen Male, die er ihr mit absoluter Ernsthaftigkeit gesagt hatte, dass er stolz auf sie ist. Doch dann verändert sich ihr Traum und sie sieht etwas, dass noch nicht passiert ist. Sie läuft über ein weites Feld, ihre Sicht ist begrenzt, das hohe Gras wirkt verschwommen, fast wie ein grünes Meer. Allein die alte Weide auf dem kleinen Hügel kann sie deutlich sehen. Sie kennt diesen Baum, sie hatten ihn gemeinsam gepflanzt, als sie noch jünger war und später oft die Nachmittage in seinem kühlen Schatten verbracht. Ihre Glieder brennen schmerzhaft, trotzdem schleppt sie sich voran, getrieben von unerklärlicher Bestimmtheit, bis sie die Anhöhe erreicht. Am Stamm lehnt eine große Gestalt mit dunklem Haar, die ihr den Rücken zugekehrt hat. Als Anna zu ihm humpelt, erkennt sie ihn und streckt glücklich die Hand aus, um ihn zu berühren... Schwer atmend wacht sie auf und versucht verzweifelt, sich zu erinnern. Doch das Ende des Traums ist bereits verblasst und in weite Ferne gerückt. Kategorie:Lang Kategorie:Artikel ohne Bilder Kategorie:Kreaturen Kategorie:Mord