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  • Weggefährte
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  • Es war weit nach Mitternacht, als ich von einer Geburtstagspartys nach Hause lief. Ich hatte einiges getrunken, aber anstatt eines Schwips, überkam mich nur Müdigkeit. Träge trottete ich deshalb die Landstraße entlang, die mein Heimatdorf mit dem meines Freundes verband. Die Dörfer lagen nicht weit voneinander entfernt. Auf halber Strecke konnte man in beiden Richtungen die Lichter der Laternen sehen. Und da die Nacht klar war, konnte ich auch den Trampelpfad gut erkennen, der neben der betonierten Straße lag, die zumeist von Landwirtschaftsfahrzeugen genutzt wurde.
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  • Es war weit nach Mitternacht, als ich von einer Geburtstagspartys nach Hause lief. Ich hatte einiges getrunken, aber anstatt eines Schwips, überkam mich nur Müdigkeit. Träge trottete ich deshalb die Landstraße entlang, die mein Heimatdorf mit dem meines Freundes verband. Die Dörfer lagen nicht weit voneinander entfernt. Auf halber Strecke konnte man in beiden Richtungen die Lichter der Laternen sehen. Und da die Nacht klar war, konnte ich auch den Trampelpfad gut erkennen, der neben der betonierten Straße lag, die zumeist von Landwirtschaftsfahrzeugen genutzt wurde. Fast wie in Trance versetzt, vom Takt meiner Schritte, dachte ich über nichts nach. Mein Kopf war leer und mein Hirn hatte den Autopiloten eingeschaltet, kurz nach dem ich die Ortschaft verlassen hatte. Immerhin lebte ich bereits 17 Jahre hier, seit meiner Geburt, und lief ich diesen Weg bereits Dutzende Male. Vermutlich wäre das auch so geblieben, wenn da nicht eine Abweichung von der gewohnten Geräuschkulisse gewesen wäre. Vom Wind verzerrt, glaubte ich, dass ich das Jaulen eines Fuchses hören könnte, konnte es aber nicht mit Sicherheit sagen. Dazu war das Rauschen des Windes, der sich in meiner Ohrmuschel fing zu laut. Ich konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, aus welcher Richtung das Jaulen kam, doch schien es mir, als würde ich ihm immer näher kommen. Wenn man in einer ländlichen Gegend aufwächst, macht man sich nicht viel aus dem Geheul von Tieren, dass man dann und wann hört. Man weiß, dass die meisten von ihnen sowieso flüchteten, wenn man sich ihnen nähert. Doch diesmal war etwas anders. Es war beharrlich, beinahe ohne Pause. Auch klang es immer weniger nach einem einen Tier. Vielmehr klang es nach einem Baby, als ich näher kam und es deutlicher hörte. „Gott verdammt, bitte lass es kein Baby sein“, dachte ich, als ich weiterlief, doch mein Verdacht schien sich immer mehr zu bestätigen, je lauter es wurde. Schließlich bemerkte ich auch, dass es irgendwie dumpf klang. Schon bald erkannte ich auch weshalb und mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich in einiger Entfernung einen Pappkarton um Straßengraben entdeckte. Unter anderen Umständen wäre ich sofort darauf zu gerannt, aber in diesem Moment wirkte es so surreal, dass ich nicht anders konnte, als mich langsam mit stockendem Atem zu nähern. Nun war es unverkennbar. Es musste ein Baby in dem Karton sein. Aber warum? Wer tut so etwas?! Vorsichtig, darauf bedacht nicht auf dem taunassen Gras abzurutschen, stieg ich in den Graben hinab und beleuchtete mit dem fahlen Licht meines Handys den vor Schreien dröhnenden Karton. Meine Hände zitterten, als ich den klammen Pappdeckel abhob und beiseitelegte. Zum Vorschein kam dann dieses kleine verheulte Etwas. Weiterhin schreiend und zappelnd. Seine Wangen glänzten an den Stellen, an dem seine Tränen hinab liefen und waren zu weiteren Teilen gerötet und gereizt. Der oder die Kleine lag also mit Sicherheit nicht erst seit Kurzem hier und ich war mir sicher, dass bereits nicht mehr leben würde, wenn der Herbst nicht gerade erst angefangen hätte. Alles, was es ansatzweise Wärme schenkte, war der Strampler, den es anhatte und die Decke, in das es gewickelt war. Ich hatte nicht viel Ahnung von Babys, hatte aber durch meinen kleinen Bruder genug Erfahrung gesammelt, um zu wissen, dass nicht ausreichte. Um zu überprüfen ob und wie weit es schon unterkühlt war, griff ich nach seinem kleinen Händchen, während ich ihm beruhigend zuredete. Schockiert stellte ich fest, dass diese bereits eiskalt waren. Sie mussten dem Kleinen bereits wehtun. Ohne weiter zu überlegen, zog ich meinen Pullover aus und wickelte das arme Ding darin ein. „Pscht...gleich wird dir wärmer“, versuchte ich es zu beruhigen und wiegte es leicht in meinen Armen, während ich abwechselnd in beide Richtungen der Straße schaute und überlegte, wo ich schneller ins Warme kommen würde, entschloss mich dann aber weiter in Richtung zu Hause zu gehen. Währenddessen wählte ich den Notruf. Es musste unbedingt untersucht werden. Ich gab also durch, wo ich gerade war und wohin ich mich bewegte, sodass ich mit dem schreienden Bündel so schnell wie möglich aus der Kälte komme. Sei es der Krankenwagen oder mein Haus. Den Karton zurücklassend, marschierte ich schnurstracks meinem Ziel entgegen und redete meinem kleinen Begleiter gut zu. Und ich schien Erfolg damit zu haben, denn das Schreien flaute mehr und mehr ab. Zwar klang es dann und wann so, als würde es von Neuem beginnen, doch er oder sie bleib ruhig. Noch immer wusste nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Seine Kleidung ließ auf keines von beidem direkt schließen. Und dieses Baby wurde nicht wie im Film in einem Körbchen und mit einem Brief vor einer Kirche oder einem Waisenhaus abgesetzt. Dieses arme kleine Wesen wurde offensichtlich schlichtweg entsorgt. Mit den Gedanken darum kreisend, wie man einem Kind so etwas antun kann, bemerkte ich nicht, dass ich mein Heimatdorf längst hätte erreichen müssen. Erst als ich das Kleine ruhig atmen hörte, konzentrierte ich mich wieder auf den Weg und blieb dann verwirrt stehen. Ich war die ganze Zeit gelaufen, und dennoch schien es so, als hätte ich mich nicht von der Stelle bewegt. Hatte ich mich vielleicht mit der Entfernung vertan? Nein. Das konnte nicht sein. Nicht nach dem ich diesen Weg so oft gelaufen war. Ich hätte diesen Weg blind gehen können. Ich wollte mich gerade wieder in Bewegung setzen, als plötzlich auch noch das Licht der Laternen erlosch. Genau genommen erloschen alle Lichter um mich herum. Keines der Dörfer war in der Dunkelheit noch zu erkennen. Nicht einmal das Licht der Sterne konnte mir den Weg zeigen, denn der Himmel musste sich in der Zwischenzeit zugezogen haben. Das wäre ja noch natürlich gewesen, doch das die Laternen abgeschaltet wurden, war nicht normal. Sie brannten normalerweise bis Sonnenaufgang. Da ich nun nicht einmal sah, wo ich hintrat, wollte ich auf der Straße weitergehen. Dort wäre die Gefahr mit dem Kleinen auf dem Arm zu stolpern, weitaus geringer. Doch weder fand ich die Straße, als ich mich mit den Füßen vorantastete, noch hörte ich das vertraute Rascheln des Grases. Die ganze Beschaffenheit des Bodens unter meinen Füßen schien sich verändert zu haben. Er war nicht mehr so leicht und federnd. Ich festigte meinen Griff um das Baby, um sicherzugehen, dass es nicht rutschte, während ich erneut mein Handy aus der Tasche zog, um den Weg vor mir zu beleuchten. Doch was ich im blassen Lichtschein sah, war alles andere als das, was ich erwartet hatte. Weder der Trampelpfad, das Gras, noch die betonierte Straße waren zu sehen. Stattdessen blickte ich auf einen schwarzen unebenen Grund, der das Licht zu verschlucken schien. Und das war alles, was ich sehen konnte. Egal. in welche Richtung ich mich drehte. Eine unbeschreibliche Angst machte sich in mir breit. Nicht vor irgendeiner Bedrohung, sondern aus Unsicherheit, was hier mit mir passierte. Schließlich bemerkte ich auch, dass es um mich herum völlig still war. Eine Stille, wie ich sie nicht vergleichen konnte. Ich glaubte sogar fast, ich hätte mein Gehör verloren, doch konnte ich den Atem des Kleinen und meinen eignen hören. Es war unerklärlich, was hier mit mir passierte. Allein, dass ich dieses Baby fand war schon absurd und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, ich wäre auf einem Trip, doch ich kannte niemanden, der mit Drogen zu tun hatte. Es gab auch keinen Grund jemanden auf der Party zu misstrauen. Schließen war nur die übliche Clique anwesend. Umso schwerer fiel es mir aber nun zu entscheiden, ob und in welcher Richtung ich weitergehen sollte. Egal, wo ich hier war, es musste noch etwas anderes geben, als die scheinbare Leere um mich herum. Doch ich hatte völlig die Orientierung verloren. Ich wusste nicht, woher ich kam und in welche Richtung ich weitergehen wollte. Schließlich lief ich einfach drauf los und hoffte irgendetwas oder irgendjemanden zu finden, der mir weiterhelfen konnte. Jedoch wandelte sich meine Umgebung wenn, dann nur unmerklich. Auch war weit und breit kein Zeichen von dem angeforderten Krankenwagen zu sehen. Doch hatte ich auch keinen Empfang, um mich nach dessen Verbleib zu erkundigen. Nach gefühlten Stunden wirkte um mich herum noch immer alles wüst und unwirtlich. Alles was sich veränderte, war das Klima. Es wurde immer kälter, je weiter ich lief. Ich wollte gerade schon die Hoffnung aufgeben, auch nur ansatzweise Zivilisation anzutreffen, als ich in weiter Ferne ein Licht sah. Schwach und flackernd, aber es war eindeutig da. Fast wie auf Stichwort, hörte ich ein leises, quietschendes Gähnen. Das Baby war erwacht. Ohne es anzusehen, streichelte ich ihm den Rücken auf und ab und flüsterte ihm zu: „Schau, bald habe ich dich in Sicherheit gebracht.“ Es wunderte mich zwar etwas, dass es nicht bereits vor Hunger wieder schrie, doch war ich auch froh darüber. Immerhin schien es ihm ansatzweise gut zu gehen. Ich machte nun auch deutliche Fortschritte, denn ich kam dem Licht immer näher. Doch sollte ich es nicht erreichen. „Du kannst hier nicht weiter“, hörte ich eine durchdringende, aber dennoch ruhige Stimme zu mir sprechen und ich hielt an. Neben mir, scheinbar in der Luft schwebend, sah eine Maske, die ein schwaches Licht von sich gab. Die Maske schien wie aus Elfenbein geschnitzt und hatte weiche Gesichtszüge, die ich jedoch nicht richtig deuten konnte. Es war kein Lächeln, was sie trug, dennoch vermittle sie einen Ausdruck von Zufriedenheit. Gleichsam weckte sie in mir jedoch das Gefühl einer Trauer, die ich mir nicht erklären konnte. Als meine Augen sich aber an den Schein der Maske gewöhnten, erkannte ich die Konturen einer schwarzen Robe, die nach untenhin in der Dunkelheit verschwammen. „Du hast deine Aufgabe erfüllt. Gib mir nun das Kind“, sprach die Person nun weiter, doch ich war noch immer sprachlos. Als ich dann jedoch realisierte, was diese Gestalt gesagt hat, drückte ich das Baby schützend an mich und drehte mich leicht von ihr weg. „Wer sind Sie? Wo sind wir hier?“, fragte ich misstrauisch, bekam allerdings nur zur Antwort: „Es ist noch zu früh für Dich, das zu erfahren“ „Zu früh? Was mach ich dann an diesem Ort? Und was wollen Sie mit dem Kind?“ Die Gestalt verharrte still. Nicht eine Falte von der Robe rührte sich und sie entgegnete: „Dieses Kind ist nicht länger Teil deiner Welt“ Mit diesen Worten streckte es seine Hände aus, die wie der Rest seines Körpers verhüllt waren. In mir sträubte sich alles und ich kämpfte dagegen an, doch ich war nicht länger Herr meines Körpers. Ich legte das Kind, das munter vor sich hin zappelte in die Hände des Fremden. Ich zitterte, als ich ein letztes Mal in die Augen des Kleinen blickte. Dann drehte er sich ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren herum und verschwand mit dem Kind in der Dunkelheit. Ich stand da und blickte in die Leere, während mein Verstand versuchte, das erlebte zu verarbeiten. Doch wie ein blockiertes Uhrwerk, wollte mein Gehirn nicht mehr funktionieren. Erst als mich eine Hand an der Schulter packte, kehrte ich aus meiner Trance zurück. „Geht es Ihnen gut?“, hörte ich eine Stimme fragen, dumpf, wie durch einen dicken Vorhang. Nach und nach baute sich um mich herum eine bekannte Geräuschkulisse. Das Rauschen des Windes, raschelndes Gras, doch auch ein Gewirr an Stimmen und das Brummen von Motoren. Und ich realisierte, dass ich wieder an der Landstraße war. Nur war ich nicht mehr allein hier. Ich kniete im Straßengraben, vor dem Karton, in dem das Baby lag, doch er war leer, wie meine Arme. Suchend blickte ich mich daraufhin um und sah, wie ein Rettungsassistent mit dem Kleinen auf dem Arm in Richtung des Krankenwagens ging, neben dem auch ein Polizeiwagen stand. Wieder höre ich jemanden fragen: „Geht es Ihnen gut?“ Vor mir stand nun ein weiter Rettungsassistent, der mich prüfend betrachtete und ich stand auf. „Ja...ja, ich denke schon“, antwortete ich sichtlich verwirrt. „Mir ist nur etwas kalt. Aber sagen Sie...wie geht es dem Kleinen?“ Noch ehe ich eine Antwort erhielt, unterbrach uns ein herannahender Polizist. „Entschuldigen Sie, ich hätte da ein paar Fragen an Sie“, sagte dieser und der Rettungsassistent warf ihm einen giftigen Blick zu. Ich wusste nicht, wie ich dem Polizisten glaubhaft erklären sollte, was passiert war, aber nicht stimmte zu. Immer wieder verengten sich seine Augenbrauen oder seine Stirn legte sich in Falten, aber nahm meine Aussage ohne irgendeine Wertung auf, bis ein zweiter Polizist hinzukam. Beide wandten sich für einen Moment von mir und tuschelten irgendetwas, dann sah ich wie der Beamte, der mich befragte, langsam, aber verständig nickte und der andere sich wieder entfernte. Mit seinem Stift auf dem Block herumtrommelnd, drehte der Polizist sich wieder um und legte eine nachdenklich Miene auf. „Sie sagten, dass sie aus der Ferne schon die Schreie hörten, richtig?“ hakte er noch einmal nach. Ich nickte unsicher und bestätigte. „Genaueres konnte jetzt nicht nicht festgestellt werden, aber laut erster Begutachtung durch die Rettungskräfte, ist das Kind schon seit Stunden tot“ Meine Kehle schnürte sich zu. „...tot? Das...das kann nicht sein. Ich hab es schreien hören. Schon aus einiger Meter Entfernung. Ich...ich hatte es sogar in meinen Armen.“ „Sie haben sie aus dem Karton gehoben? Dann müssen Sie doch gemerkt haben, dass sie tot ist“ stellte der Beamte fest. Ich wusste aber nicht einmal, dass sie ein Mädchen war. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wusste nicht mehr, was real war und was nicht. War überhaupt etwas real in den letzten 15 Minuten? Mir fehlten die Worte, was auch der Beamte bemerkte. Nun mischte sich der Rettungsassistent wieder ein, der neben mir verharrte. „Wie Sie sehen, steht dieser Junge unter Schock. Heben Sie sich Ihre Fragen also bitte auf, bis er auch darauf antworten kann“, sagte er und schirmte mich von dem Polizisten ab. Dieser verschwand dann genervt raunend. Der Rettungsassistent setzte seine Untersuchung fort und nahm mich zur Beobachtung mit in die Klinik, die ich am nächsten Tag verlassen konnte. Jedoch erst nach einem Gespräch mit einem Arzt, der sicherstellte, dass ich dazu in der Lage wäre. Ich rechnete noch damit, dass ich noch einmal von der Polizei befragt werden würde, da meine Freunde jedoch bezeugen konnten, wie lange ich auf der Party war und wann ich diese verließ, schien ich nicht mehr verdächtig zu sein. Bis heute ist ungeklärt, wer die Eltern des Mädchens waren und warum sie sich diesem so herzlos entledigten. Aus einem Zeitungsartikel erfuhr ich nur, dass es keine Verletzungen hatte und keine Anzeichen von Vernachlässigung zeigte. Und für mich ist bis heute noch ein Rätsel, was mit mir dort geschehen war. Vielleicht war ich einfach nur die helfende Hand, die diese kleine Seele brauchte, um ins nächste Leben geführt zu werden. 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