PropertyValue
rdfs:label
  • Die Maid von Irland
rdfs:comment
  • Die Sonne schien gleißend hinunter auf die belebte Stadt. Normalerweise traf ihr Licht auf alle Arten von Farben und Dingen, erhellte das Leben der Reichen und schuf die Schatten, die das Leben der Armen zu verschlingen drohten. Doch wie jedes Jahr gab es diesen einen Tag, an dem dieser Effekt nicht zum Tragen kam. Denn heute war alles, einfach alles, grün. Die Menschen, die Straßen, die Häuser. Alle erschienen sie heute in der strahlenden Farbe des Glückes und der Hoffnung. So war es schon seit Ewigkeiten hier in Monacan, der größten Stadt New Hampshires. Überall bekannt für seine Feierlichkeiten zum 17. März. Dem St. Patrick's Day.
dcterms:subject
abstract
  • Die Sonne schien gleißend hinunter auf die belebte Stadt. Normalerweise traf ihr Licht auf alle Arten von Farben und Dingen, erhellte das Leben der Reichen und schuf die Schatten, die das Leben der Armen zu verschlingen drohten. Doch wie jedes Jahr gab es diesen einen Tag, an dem dieser Effekt nicht zum Tragen kam. Denn heute war alles, einfach alles, grün. Die Menschen, die Straßen, die Häuser. Alle erschienen sie heute in der strahlenden Farbe des Glückes und der Hoffnung. So war es schon seit Ewigkeiten hier in Monacan, der größten Stadt New Hampshires. Überall bekannt für seine Feierlichkeiten zum 17. März. Dem St. Patrick's Day. Es war schon Abend, als Nathan seine Studentenbude verließ. Die dunkle Haut gehüllt in grasgrünen Stoff, das hübsche Gesicht bedeckt mit grüner Schminke, das lockige dunkle Haar gepackt unter einen grünen Zylinder. Er liebte diesen Tag einfach. Liebte ihn über alles. Er schritt durch die Straßen, durch die Menge der grünen Menschen. Es war, als würden keine anderen Farben mehr existieren. Nur noch grün, grün und grün. Ein Lächeln stahl sich über sein Gesicht. Es war sein liebster Tag im Jahr und er war auf dem Weg zur größten Party der ganzen Stadt, ganz Neuenglands, vermutlich des ganzen Landes. "Nate! Du alter Partylöwe!" Die dunkle Stimme hallte aus der feiernden Menge wie Donner durch einen tosenden Sturm. "Jack! Ich hätte dich fast nicht bemerkt", rief er zurück. Ein lebendiges Lachen ertönte aus der Kehle des Rufenden, der sich seinen Weg aus der tanzenden Masse heraus gebahnt hatte. Nun stand der bärtige, hünenhafte Kommilitone Nathans direkt vor ihm. "Ich hätte fast gedacht, du würdest nicht kommen", sagte er mit einem Zwinkern. Nathan lachte. Jack hätte genauso gut sagen können, er denke sein gegenüber würde auf einem Nashorn angeritten gekommen. Jeder wusste, wie viel ihm an diesem Tag lag. Hätten nicht neben ihnen hunderte Menschen auf der Straße gefeiert, wäre jetzt wohl eine unangenehme Stille aufgekommen. Nicht, dass sie sich nicht mochten, aber wirklich viel zu sagen hatten sie sich auch nicht. "Na komm, wir holen dir erst mal ein Bier." "Irisches?" "Ne, thailändisches, weißt du?" Nathan lachte erneut. Er hätte die ganze Zeit lachen können. Er liebte diesen Tag einfach. Es war ein großartiger Abend. Jack hatte ihn schnell zu ihren anderen Studienfreunden gebracht. Sie hatten getrunken, getanzt, mit gegrölt, einfach nur Spaß gehabt. Die Nacht war eingebrochen, doch es hatte niemanden interessiert. Auch ihre Dunkelheit hatte das Grün nicht vertreiben können. Es war, als wären die Gesetze des Universums für einen Tag ausgehebelt. Jeder wollte, dass die Nacht ewig hielte, um diesen Moment nie enden zu lassen. Doch es war spät geworden und mittlerweile schon wieder früh. Immer mehr Leute waren gegangen, immer weniger gekommen. Mittlerweile war niemand da, den Nathan auch nur im Ansatz gekannt hätte. Aber er würde bis zum Ende bleiben. So wie es jedes Jahr war. Doch irgendwann war die Musik verstummt, die Straße immer leerer und das Grün nur noch die verdreckte Erinnerung an etwas, dass so surreal schien, man konnte kaum glauben, die letzte Nacht wirklich erlebt zu haben. Er saß auf dem Bürgersteig und nippte an seinem warmen Bier. Resigniert ließ er seinen Blick über die Szene wandern, sah all die grünen Banner, gezeichnet vom bräunlichen Dreck hunderter Schuhsohlen. Die Welt war wieder normal und die Nacht gewann ihre alte Macht zurück. So glaubte er zumindest. Doch dann sah er sie. Sie befand sich etwas abseits der Straße auf einer Parkbank. Sie war so sehr Teil der Kulisse und stach doch so heraus. Sie war grün gekleidet, ihre blonden Haare waren durchsetzt mit grünen Strähnen und ihr weich geformtes Gesicht trug noch den verblichenen Ausdruck von grüner Schminke. Sie war wie jeder andere hier auch. Und gleichzeitig auch so anders. Sie schien wie eine Laterne durch das schmutzige Grün, dass nun die Herrschaft über die Stadt errungen hatte. Auf ihren Kleidern fand sich nicht der kleinste Fleck Schmutz und ihre Augen strahlten eine Lebhaftigkeit aus, als würde sie jedes Detail um sich herum mit purer Begeisterung wahrnehmen. Sie war wie ein Leuchtturm der Freude in diesem farblichen Bruderkampf. Noch bevor er sich entschieden hatte, was zu tun war, stand er schon und ging zu ihr. Er wusste nicht, warum er es tat. Hatte er seinen Beinen diesen Befehl gegeben? Wollte er das wirklich? Eine Fremde ansprechen, wo doch die Müdigkeit seinen Kopf regierte? Das war völlig unwichtig. Denn er stand schon vor ihr. Mehr aber auch nicht. Er stand dort, zur Salzsäule erstarrt, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Ihm flogen tausende Dinge durch den Kopf, doch seine Zunge weigerte sich, auch nur eine davon über sich ergehen zu lassen. Er sah sie einfach nur an. Und sie ihn. Er blickte direkt in ihre azurblauen Augen, so schön wie der Ozean und ebenso unergründlich. Selbst hier glaubte er noch einige grüne Sprenkel zu erkennen. Er hatte sich in ihrem Blick verloren, wie ein Kind in einem dunklen Wald. "Kommt da noch was oder willst du nur gruselig gucken?", riss ihn eine Stimme aus den Gedanken. Er brauchte kurz um zu erkennen, dass es die ihre war. "Ähm...ähm..." "Also ich persönlich mag Smarties ja mehr." Sie lächelte. Er sah sie nur verwirrt an. "Na als M&Ms" Er sah sie noch kurz an. Dann fiel der Groschen und er musste lachen. "Ich bin Nathan." "Ich bin Luna." Er wusste nicht, was er nun sagen sollte. Ihm fielen die Worte einfach nicht ein. "Ich hätte da eine Idee", sagte sie, um die Stille zu durchbrechen, "Du überlässt das Reden besser mir." Es war unglaublich. Sie war unglaublich. Sie redete, er hörte zu, gab ihr recht oder sagte auch seine Meinung, wenn er etwas anders sah. Am Anfang hatten sie noch auf der Bank gesessen, doch dann waren sie aufgestanden und einfach ziellos durch die Stadt gewandert. Es war ihm auch egal, wo sie hingingen, solange sie dabei war. Auch wenn er sie kaum kannte, so wollte er schon nicht mehr ohne sie. Irgendwann waren sie in einen Park gekommen, hatten sich dort einfach auf den Rasen gesetzt, der ebenso grün war wie die Kleidung der beiden. Sie saßen da, redeten, sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sein Herz vollführte einen Salto, so glücklich war er in diesem Moment. Er wusste nicht, was es war, doch sie war irgendwie etwas ganz Besonderes. "Kennst du eigentlich die Legende des heiligen Patrick?" Er musste überlegen. Eigentlich hätte ihn diese Frage wundern sollen, doch ihre Stimme wischte alles beiseite. Außerdem hatte sie ihm ja eh erzählt, dass sie Okkultismus und Volksglauben studieren würde. "Nein, nicht wirklich, wieso?" "Ach keine Ahnung, ich habe mich nur gewundert." Er wusste nicht, wieso er das Folgende sagte, aber er tat es einfach: "Erzähl sie mir doch." Also erzählte sie sie. Ihm stockte der Atem. Nicht wirklich von der Geschichte, mehr davon, wie sie sie erzählt hatte. Es hatte beinahe etwas Magisches an sich gehabt. Ihre Worte hatten ihn in ihren Bann gehüllt. Er sah sie an, sah in ihr hübsches Gesicht und glaubte fast, eine kleine Träne darin entdecken zu können. "Also hatte die Geschichte ja sogar ein gutes Ende", sagte er, aus Angst, ihre eigene Geschichte hätte sie vielleicht traurig gemacht. "Nun ja, wie man es nimmt. Er brachte die Tochter des Bösen in das Dorf am Fuße des Berges, um den Bewohnern von seiner Tat zu berichten. Doch sie war noch nicht tot. In der Nacht, als alle schliefen, fuhr sie in den Körper von Patricks einziger Tochter. Seitdem ward sie nicht mehr gesehen." "Oh..." "Aus Angst versagt zu haben, verknüpfte er ihr Dasein mit seinem. Nur an Tagen, an denen er lebendig wäre, sollte auch sie zum Leben imstande sein." Stille trat ein. Er wusste mal wieder nicht, was er sagen sollte. Er betrachtete einfach die grüne Idylle um ihn herum. Alles grün. "In okkulten Kreisen nannte man sie, in Ermangelung eines Namens, einfach die 'Maid von Irland'." "Was glaubst du ist aus ihr geworden?" Er wartete auf eine Antwort. Doch die kam nicht. Stattdessen küsste sie ihn. Es war, als würde dieser Moment nicht vergehen. Ihre Lippen harrten aufeinander, als würden sie nie etwas anderes tun wollen. Doch dann war der Kuss vorbei. Es folgte ein zweiter. Und ein dritter. Er zog sie zu sich heran, sie umfasste sein Gesicht. Sie küssten und küssten sich, sie sanken ins Gras. Er ließ seine Hände durch ihr Haar fahren, sie legte sich auf ihn. Sie küsste ihn noch einmal. Dann sagte sie: "Ich glaube, sie sucht sich neue Opfer, um wieder an Kraft zu gewinnen, an dem einen Tag, an dem sie die Erde betreten kann, da die ganze Welt den Heiligen zum Leben erweckt." "Warte, willst du damit sagen..." Sie küsste ihn wieder. Inniger als vorher. Doch da war noch etwas anderes. Er spürte, wie sein ganzer Körper zu kribbeln begann. Waren es seine Gefühle für sie, die jetzt hochkamen? Nein, es war definitiv etwas anderes. Aber was? Er sah sie an, sah in ihre wunderschönen Augen. Und entdeckte eine gewisse Genugtuung darin. Etwas Verschlagenes lag in ihrem Blick. Er wollte blinzeln. Doch es ging nicht. Was war hier los? Er wollte etwas sagen, aber alles was er hörte war ein komisches Zischen. Sie stand langsam auf. Er wollte sie zurückhalten, doch er konnte seine Arme nicht spüren. Er wollte sich auch erheben, doch seine Beine merkte er ebenfalls nicht. Er sah sie an, sah wie sie etwas sagte, aber er konnte nichts hören. Der Geschmack seiner Seele lag noch auf ihren Lippen. Sie sah ihn kurz an, dann nahm sie ihn hoch. Er war grün geworden. Wie sie diese Farbe hasste, die sie immer an ihre Niederlage erinnerte, an das Land, das sich ihr verwehrt hatte. Und doch war sie verdammt, nichts anderes als diese Farbe zu tragen. Sie betrachtete Nathan noch kurz, dann warf sie ihn weit weg in den Park. Blitzschnell schlängelte er sich davon. Schien sich ja prima in seinem neuen Körper zurechtzufinden. Kurz folgte ihr Blick noch seinen grünen Schuppen, die sich durch das Gras wanden, dann drehte sie sich um. Die Sonne war schon fast aufgegangen, sie musste sich beeilen. In ein paar Jahren hätte sie ihre alte Stärke wieder. Bis nächstes Jahr dann also. Mit diesem Gedanken machte sich die Maid von Irland auf zum Meer. Kategorie:Artikel ohne Bilder Kategorie:Mittellang Kategorie:Kreaturen Kategorie:Schockierendes Ende