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  • Seine Töchter
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  • Im Wald, unter der großen Tanne, steht ein Mann in schwarz gehüllt. Tief dunkel war die Nacht, in der seine kleine Tochter starb. Minute zu Minute wird das Loch, das der Mann gräbt, größer. Als es zwei Fuß breit und drei Fuß tief ist, legt er das Mädchen zu den anderen. Sie waren alle seine Töchter. Sie waren alle lieblich, wunderschön und ihrer Mutter so ähnlich. Seine Töchter, sie waren alle krank. Sie starben alle viel zu früh. „So jung. So unschuldig“, murmelt er. Der Mann verschließt das Grab seiner Töchter wieder und läuft seufzend davon. Er muss heute noch in die Stadt, eine seiner Töchter abholen.
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  • Im Wald, unter der großen Tanne, steht ein Mann in schwarz gehüllt. Tief dunkel war die Nacht, in der seine kleine Tochter starb. Minute zu Minute wird das Loch, das der Mann gräbt, größer. Als es zwei Fuß breit und drei Fuß tief ist, legt er das Mädchen zu den anderen. Sie waren alle seine Töchter. Sie waren alle lieblich, wunderschön und ihrer Mutter so ähnlich. Seine Töchter, sie waren alle krank. Sie starben alle viel zu früh. „So jung. So unschuldig“, murmelt er. Der Mann verschließt das Grab seiner Töchter wieder und läuft seufzend davon. Er muss heute noch in die Stadt, eine seiner Töchter abholen. Sie hat schulterlanges, fuchsrotes Haar und strahlend grüne Augen, genau wie ihre Mutter. Heute trägt sie ein hellgrünes Kleid, das perfekt zu ihren Augen passt. Sie steigt in seinen alten, rostigen Pick-up, mit den verdunkelten Scheiben. Er drückt ihr die Süßigkeiten in die Hand, die er ihr versprochen hat, wenn er sie nach der Schule abholt. „Clara? Clara, wo bist du?“, ruft draußen die besorgte Stimme einer Mutter. Der Mann tritt auf das Gaspedal und fährt, mit seiner lieben Tochter, nach Hause. Mit einer schwachen Stimme fragt das Mädchen: „Wo ist meine Mama?“ Der Mann streichelt ihr nur sanft übers Haar. Am Haus angekommen, hebt er seine Tochter auf seine Schultern und trägt sie ins Haus. Erneut fragt das Mädchen: „Wo ist meine Mama?“ Der Mann setzt sie ab und zeigt in Richtung des Flurs. Seine Tochter lächelt freudig und läuft kreischend in den Flur: „Mama!“ Der Mann folgt ihr. Das Mädchen reißt freudig die einzige geschlossene Tür im Flur auf. Der Raum ist dunkel, man kann nur schemenhaft ein Bett, zwei Nachtschränke mit jeweils zwei Lampen darauf, einen Schrank, und einen Schreibtisch mit einem Stuhl davor, auf dem eine Person zu sitzen scheint, erkennen. Das Mädchen läuft zu der Person die auf dem Stuhl sitzt, sie berührt sie leicht, dann kreischt sie laut. Ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie fängt an zu weinen. Der Mann nimmt sie in den Arm und trägt sie aus dem Raum heraus, danach schließt er die Tür wieder. Er bringt das weinende Mädchen auf sein Zimmer. Beim Abendessen ist es still am Tisch. Seine Tochter will nichts essen. Er fragt sich, warum sie ihr Essen nicht anrührt, plötzlich fragt sie mit zitteriger Stimme: „Warum war Mama so dünn? Warum hat Mama so gestunken? War Mama tot?“ Ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen, doch sie versucht es zu unterdrücken zu weinen. Der Mann beantwortet die Fragen seiner Tochter nicht, er isst einfach weiter. Nach dem Abendessen bringt er seine Tochter ins Bett. Damit sie nicht einfach so, während er schläft, im Haus herumläuft und vielleicht irgendwelchen Schaden anrichtet, so wie eine seiner anderen Töchter die vor über zwei Jahren gestorben ist, verschließt er die Zimmertür. In der Nacht hört man ihr Weinen, Schreien und Flehen durch das Haus schallen. Wie verrückt hämmert sie gegen die verschlossene Tür. Das gefällt ihm nicht. Bei diesem Lärm kann er kein Auge zumachen. Er öffnet die Zimmertür seiner Tochter. Sie versucht sich an ihm vorbeizuzwängen, doch er hält sie fest. Wütend packt er sie und wirft sie über die Schulter. Sie kreischt und strampelt heftig mit den Beinen. Er trägt sie ins Badezimmer. Dort setzt er sie ab und bindet ihr Arme und Beine zusammen. Er nimmt Nadel und Faden aus dem Medizinschränkchen über dem Waschbecken und beginnt ihr das Schweigen beizubringen. Stich für Stich, Zentimeter für Zentimeter wird sie ruhiger. Zitternd liegt seine Tochter auf dem Boden. Er nimmt sie in den Arm und betrachtet die wundervolle Naht in ihrem Gesicht. Er hat ihr das Schweigen beigebracht, so wie er es seinen anderen Töchtern auch beigebracht hat. Er trägt sie wieder zurück in ihr Zimmer. Dort angekommen macht er Arme und Beine des Mädchens wieder los. Ihr rollen vereinzelt noch Tränen die Wangen runter. Sanft streichelt er ihr noch einmal übers fuchsrote Haar, bevor er wieder zu Bett geht. Am nächsten Morgen will sie wieder nicht essen. Auch sie ist krank geworden. Auch sie hatte die Krankheit die ihre Mutter und seine anderen Töchter hatten. Auch sie starb. Wieder steht der Mann unter der großen Tanne. Wieder hat er das Grab seiner Töchter geöffnet. Wieder begräbt er eine weitere Tochter, die ihrer Mutter so ähnlich war, fuchsrotes Haar, strahlend grüne Augen. Er seufzt, verschließt das Grab wieder und geht zurück nach Hause. Er muss heute noch in die Stadt, eine seiner Töchter abholen.