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  • Das Flimmern
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  • Wer auch immer das hier liest... Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Ich weiß es echt nicht mehr. Aber bevor ich ganz durchdrehe sollte ich es ganz aufschreiben, einfach runter schreiben, denn das hilft, richtig? Wer immer das ließt, vielleicht bin ich mittlerweile tot, vielleicht nicht. Vielleicht glaubst du mir, vielleicht auch nicht. Ich beginne ganz von Vorne. Später wollte ich noch zum Eishockey fahren, ich spiele in unserer Regionalliga der Mädchen. Die kleine schwarze Pille liegt vor mir und ich drehe sie mit meiner freien Hand langsam im Kreis.
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  • Wer auch immer das hier liest... Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Ich weiß es echt nicht mehr. Aber bevor ich ganz durchdrehe sollte ich es ganz aufschreiben, einfach runter schreiben, denn das hilft, richtig? Wer immer das ließt, vielleicht bin ich mittlerweile tot, vielleicht nicht. Vielleicht glaubst du mir, vielleicht auch nicht. Ich beginne ganz von Vorne. Das war vor ein paar Tagen. Mittlerweile wird es schwieriger die Tage zu zählen, alles verschwimmt und ich habe auch viel geschlafen. Es war ein normaler Tag gewesen, ich bin mit dem Bus in die Schule gefahren, Jasper, ein seltsamer junge, den alle irgendwie mobben, erschrak sich zu Tode, als die Lehrerin den Raum betrat. Das war nichts besonderes, der Junge war furchtbar schreckhaft und irgendwie verstört, niemand weiß wieso, aber alle mobben ihn deswegen. Ich versuche es zu vermeiden, aber man muss irgendwie schon lachen. Später wollte ich noch zum Eishockey fahren, ich spiele in unserer Regionalliga der Mädchen. Vielleicht stelle ich mich nochmal vor, ich weiß ja nicht, wer das später mal liest. Ich bin Marie, ich bin 16 Jahre alt und war bisher eigentlich ganz normal und durchschnittlich. Bisher... ich fuhr mit dem Fahrrad zum Sport, die Ausrüstung in meiner Tasche auf dem Rücken, sang leise zu meinem Ohrwurm und ahnte nichts böses, da kam von der Blumenstraße ein Auto angerast, versuchte an mir vorbei abzubiegen und fuhr mich eiskalt um. Ich traf mit dem Kopf auf dem Boden auf, spürte noch wie etwas klebriges an meinem Kopf runter lief, hoffte, dass es nur meine ausgelaufene Wasserflasche war (es war dann doch Blut gewesen) und dann wurde alles schwarz. Mein ganzer Kopf füllte sich mit dieser Dunkelheit, erfüllte jede Lücke meines Gehirns und alles spielte sich ab, wie in Wasser. Leiser, schwerelos, dunkel. ich wachte im Krankenhaus auf. Steriler Geruch trat in meine Nase und ich schlug meine Augen auf, die leider mit einem Verband bedeckt waren. Neben mir hörte ich regelmäßiges Piepen, einen Tropf, der dem Gefühl in meinem Arm nach, wohl zu mir gehörte und schwere Schritte einer Person. „Hallo? Kann man mir bitte mal jemand erklären was los ist?“ Fragte ich genervt. Jetzt hörte ich noch mehr Geräusche, meine Mutter drückte die Hand meines Vaters und quietschte vor Erleichterung, während er aufstand und zu meinem Bett ging. „Du wurdest angefahren, Marie. Es war nicht deine Schu-“ Ich nickte. „Ich weiß.“ Mein Kopf tat höllisch weh. Eine helle Stimme verkündete fröhliche: „Es hat dich auch nicht ernst getroffen, eine kleine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung, aber wir haben trotzdem einen großflächigeren Verband gelegt, aber der kann jetzt ab.“ Ein paar Minuten später war ich von der Qual befreit und durfte dann sogar nach Hause und dazu wurde ich für zwei Tage krank geschrieben, so ein Luxus. Das Training allerdings, hatte ich verpasst. Am Abend begann das Flimmern. Ich kann es kaum beschreiben, aber ich nenne es das Flimmern, denn das tut es, tut alles. Zuerst fingen die Gegenstände an, es sah aus wie Grafikfehler oder ein Testbild im Fernsehen, dieses schwarz-weiße Bild was immer kommt, wenn man keinen Empfang hat. Zuerst war es harmlos, ab und zu flimmerte mein Spiegel oder eine Flasche. Als ich mir am nächsten Morgen eine Tasse Kaffee machte, flimmerte er kurz auf und wurde dann rot. Blutrot. Er begann zu sprudeln und es sah wirklich aus wie aus einer Wunde sprudelndes Blut, auch wenn es noch so seltsam klingt. Der Baum vor dem Haus fing ganz plötzlich an zu brennen, ich hatte mich gerade erst von dem Blutkaffee erholt (Er hatte ganz normal geschmeckt). Ich schrie und meine Mutter kam in die Küche gerannt und schaute sich panisch um. „Was ist denn Schatz?“ fragte sie und fasste mich an die Schulter und streichelte mir über den Kopf. „Hast du Schmerzen?“ ich drehte fast durch. „Nein, aber siehst du den Baum nicht? Er steht verdammt noch mal in Flammen! Bitte ruf die Feuerwehr!“ Als ich mich wieder umdrehte, wer hätte es gedacht, war da nichts. Nur ein alter Ahornbaum, der sich in unserem Garten im Wind bewegte. Er war noch nicht mal rot. Verdutzt zeigte ich auf den Baum. „Ich schwöre, der stand eben noch in Flammen. Komisch.“ Langsam drehte ich mich um und erwartete den nächsten Schock. Meine Mutter hatte sich in ein seltsames Wesen verwandelt: Ihr Gesicht war eine verzerrte Fratze, die mich schief anlächelte, aus ihrem Mund rann Blut und sie stand da, mit einem Fleischermesser in ihrer Klaue und schaute mich mit weißen Augen an. Es war wie in einem Horrorfilm oder einer Gruselgeschichte. Voller Panik rannte ich raus, auf dem Weg sah ich einiges Flimmern und wieder verwandelten sich einige Dinge in andere Dinge. Blut tropfte von unserer Wand und ich rannte. Ich ignorierte die Kopfschmerzen, ich ignorierte, dass mir viel zu warm in meinem Schlafanzug war und auch, dass ich gerade im Schlafanzug durch die Straßen rannte. Seltsame Fratzen schauten mich gierig an, leckten ihre Messerzähne und schnaubten. Der süße Terrier einer Dame flimmerte kurz und wurde zu einer riesigen Kampfbestie mit schwarzem glatten Fell und großen Muskeln. Gebückt ging er durch die Straße und schaute sich mit roten Augen um, die Zähne so schief lächelnd und scharf, wie die der anderen Monster. Ich rempelte einen alten Mann mit Hund an, der sich umdrehte. Keiner von beiden hatte ein Gesicht, nur eine leere Fläche.Ich begann zu weinen und durch diesen Schleier der Tränen sah ich nur die Silhouetten der Geschöpfe. Auf einer Parkbank verblieb ich einige Zeit und versuchte mich zu beruhigen. Es dauerte Ewigkeiten. Ich ging wieder nach Hause und fand meine Mutter wieder als normal vor, genauso wie den Rest des Hauses. Es dauerte ein paar Stunden, bis auch sie sich wieder verwandelten. Meine Mutter wurde wieder zu dem selben grausigen Tier und mein Vater hatte plötzlich Hörner am Kopf, die aussahen wie aus Fleisch, große Narben und eiternde Wunden am ganzen Körper und scharfe Reißzähne wie ein Wolf. Ich zitterte, weinte und hielt mir den Kopf, während ich in Embryohaltung auf meinem Platz kauerte. „Geht!“ schrie ich. „Verschwindet ihr Monster!“ Sie schüttelten den Kopf. „Wir gehen nicht.“ Sie blieben ruhig, kamen langsam auf mich zu, ihre Stimme war ein gruseliger Chor. „Du gehst.“ Mein Vater, immer noch in der Form des Monsters hob mich hoch, trotz meiner Versuche mich zu wehren. Mom blieb ganz ruhig und griff wieder nach dem Fleischermesser. Ich wurde wieder ohnmächtig. Ich wachte wieder im Krankenhaus auf. Hier liege ich also, die Decke flimmert ständig und sieht manchmal aus wie Stahlpfeiler, manchmal wie ein explodierender Himmel. Ich habe Stift und Papier neben mir gefunden, auch wenn der Stift manchmal zur Schlange wird. Ich weiß nicht mehr was los ist. Es war doch nur eine leichte Gehirnerschütterung und jetzt sehe ich überall Monster und schreckliche Szenarien. Ich höre Schritte, es ist die Schwester oder der Arzt bestimmt. Irgendwie ist jetzt alles klarer, aber immer noch scheiße. Echt schwer zu beschreiben. Ein paar Stunden sind vergangen, seitdem ich das Letzte geschrieben habe. Die Schwester hatte mich zu Dr. Vogel gebracht, einer Psychologin. Sie war Anfang 50, hatte eine schwarzen Bob und sah sehr sympathisch aus. „Guten Tag Marie. Ich glaube wir müssen dringend reden.“ ich nickte. Mir stiegen wieder Tränen in die Augen. Auch Dr. Vogel fing an zu Flimmern, zuerst wurden nur ihre Augen schwarz. „Seit der Gehirnerschütterung sehe ich Dinge. Monster, Blut so was. Ich...Ich habe Angst. Alles flimmert“ Begann ich und Dr. Vogel nickte. „Du wirst dich daran gewöhnen müssen, du bist jetzt eine von uns.“ Ihre Stimme hatte ein seltsames Echo und sie begann weiter zu flimmern. Ihre Haut wurde ledrig und grau, ihr Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Fratze ohne Nase, mit schwarzen Augen und kleinen spitzen Zähnen. Ihr Hals und ihre Arme wurden übernatürlich lang und mit ihren Krallen stützte sie sich auf dem Boden, während sie in geduckter Haltung meine Reaktion studierte. Sie sah ein wenig aus wie eine Schlange, aber von der Haltung war sie eher ein Gorilla oder Hund, zumindest nicht menschlich. „Du siehst mich jetzt auch oder? Ich sollte es dir erklären. Wir nennen es nicht Flimmern, sondern Scheinen. Das was du siehst, sind keine Monster, die flimmern, sondern das Durchscheinen der Realität. Das hier, was du siehst, ist meine wahre Gestalt, so wie ich innen aussehe. Auch du hast eine andere Erscheinung, aber das siehst du nicht und ich würde es nie verraten.“ Ich begann wieder zu zittern. „Sie meinen, ich sehe die Wahrheit? Und was ist mit dem Blut im Kaffee?“ Sie lächelt. „Das Blut der Arbeiter, die dafür versklavt werden. Du musst die Dinge jetzt auf eine neue Art und Weise sehen. Der Baum dahinten, an ihm haben sich so viele Patienten erhangen und wir sehen es.“ ich erschrak, als ich sah, wie die Leichen an den Stricken von den Ästen hingen, sich langsam im Wind drehten. Ein paar zuckten noch oder schrien. „Lass uns eine Runde spazieren gehen.“ Ich folgte widerwillig, was blieb mir für eine Wahl. Draußen war wieder ein Chaos. Ein Mensch und ein Hund tauschten die Rollen, seltsame Fratzen schauten mich an, ein Clown lief an mir vorbei, er weinte Blut. Die vögel stürzten sich auf die Menschen und die Häuser brannten. Mittendrin stand ein Junge. Jasper. Er sah fast normal aus, außer den schwarzen Augen und den schrecklichen Narben in seinem Gesicht, von denen einige noch frisch waren und einige schon am verheilen. „Siehst du seine Augen? Die habe ich auch und du. Er hat es von Geburt, er war schon immer ein Seher. Lass und weiter gehen.“ Er lächelt mir gequält zu und zuckt mit den Schultern. Wir gingen noch eine Weile und ich sah schreckliche Dinge. Dr. Vogel gab mir noch eine kleine Dose mit einer einzelnen Pille. „Ich darf so was eigentlich nicht verschreiben, aber....damit kannst du es jederzeit beenden. Du nimmst sie und es hört auf.“ Zum ersten Mal wirkte ihr Gesicht freundlich, geradezu besorgt. Ich durfte wieder nach Hause, sie erzählten meinen Eltern einfach es wären leichte Halluzinationen gewesen, die jetzt wieder weg währen. Es sind keine Halluzinationen und ich weiß, dass es nie weggehen wird. Außer.... Ich habe mich entschieden. Ich kann es nicht ertragen. Ich kann es einfach nicht ertragen. Man kann sich denken, was ich jetzt tun werde und man kann sich denken warum. Die kleine schwarze Pille liegt vor mir und ich drehe sie mit meiner freien Hand langsam im Kreis. Das wird das Letzte sein, was ich schreibe, ich hoffe es wird gelesen. Denn, wie die Meisten, kann ich Wahrheit einfach nicht ertragen.... Kategorie:Artikel ohne Bilder Kategorie:Mittellang