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  • Was planen die Unterirdischen?
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  • Es war kurz nach meinem fünften Geburtstag, als die Unterirdischen sich zum ersten Mal offenbarten. Noch heute kann ich nicht auf meine Kindheit zurückblicken, ohne an die zahlreichen Nachrichtenunterbrechungen zu denken, die fast täglich die Bürger auf den neuesten Stand bringen sollten. Ich schätze, dass wir uns die erste Begegnung mit anderen intelligenten Leben anders vorgestellt haben. Zum einen erwarteten wir wohl, es würde aus den Tiefen des Alls kommen und nicht aus der entgegengesetzten Richtung. Zum anderen hatte wohl niemand ernsthaft damit gerechnet, dass sie nicht gekommen waren, um uns mit Strahlenpistolen und Raumschiffen zu vernichten. Naja, sie sahen zugegebenermaßen nicht gerade so aus, als wären sie von Natur aus Pazifisten. Die Wesen, deren Fotos sich innerhalb von weni
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  • Es war kurz nach meinem fünften Geburtstag, als die Unterirdischen sich zum ersten Mal offenbarten. Noch heute kann ich nicht auf meine Kindheit zurückblicken, ohne an die zahlreichen Nachrichtenunterbrechungen zu denken, die fast täglich die Bürger auf den neuesten Stand bringen sollten. Ich schätze, dass wir uns die erste Begegnung mit anderen intelligenten Leben anders vorgestellt haben. Zum einen erwarteten wir wohl, es würde aus den Tiefen des Alls kommen und nicht aus der entgegengesetzten Richtung. Zum anderen hatte wohl niemand ernsthaft damit gerechnet, dass sie nicht gekommen waren, um uns mit Strahlenpistolen und Raumschiffen zu vernichten. Naja, sie sahen zugegebenermaßen nicht gerade so aus, als wären sie von Natur aus Pazifisten. Die Wesen, deren Fotos sich innerhalb von wenigen Tagen wie ein Lauffeuer im Internet verbreiteten, hatten glatte, glänzende Haut, so schwarz wie geschliffene Holzkohle, auf der weder Haare, Federn noch Schuppen wuchsen. Dünne, aber wohl definierte Krallen an den Enden ihrer langen Finger, welche sofort nachwuchsen, wenn man sie abschnitt. Gesichter mit spitzen, knochigen Zügen, die niemals lächelten. Fahle, silbrige Kleider, die sich mit keiner Mode der Welt vergleichen ließen. Und natürlich ihre Augen, die so weiß waren, als wären sie aus Kreidestücken gemacht. Der erste Kontakt, von welchem noch heute allen Grundschülern auf der Welt erzählt wird, fand in den steilen Berggipfeln der Rocky Mountains statt, nachdem es bereits unzählige Sichtungen an der Westküste der Staaten, in den Wäldern Skandinaviens und dem Himalaya gab. Als die Regierungsbeamten, die zu diesem Treffen erschienen waren, schließlich gelernt hatten, sich mit den Häuptlingen der Tiefen zu verständigen, offenbarten sie uns, warum sie sich überhaupt an die Oberfläche wagten. Sie hatten, so der Nachrichtensprecher, nach reichlichem Überlegen dazu entschlossen, sich die Welt mit der Menschheit "aufteilen" zu wollen. Nach all dem, was ich später über sie lernte, bin ich mir heute sicher, dass das ein Übersetzungsfehler war, den die Medien zu früh an die Leute weitergegeben haben. Wahrscheinlich meinten sie so was wie voneinander lernen oder sonst was, ist ja auch egal. Die Folgen jedenfalls, die aus dieser Nachricht entstiegen, waren, gelinde gesagt, chaotisch. Die Massenhysterie ist eines der Ereignisse, die mir besonders im Kopf hängengeblieben ist. Ich erinnere mich daran, wie der Fernseher wochenlang brennende Autos und wütende Demonstrationen zeigte, während sich die Politiker den Kopf zerbrachen. Was auch immer ein Bündnis mit diesen Wesen bedeutete, wir wollten die Welt nicht mit ihnen teilen. Brüllende Mengen protestierten gegen unsere neuen, seltsamen Nachbarn, forderten ihre Auslöschung und die Sprengung der Berge, die sie ihr Zuhause nannten. Während die Supermächte sich zu einem großen Bündnis zusammentaten, brach Anarchie in den ärmeren Gebieten der Welt aus. Ich weiß noch, wie mein Vater oft abends weinte, nachdem er mich ins Bett gebracht hatte. Was die Unterirdischen dann taten, war, aus heutiger Sicht, ein kluger Schachzug. Sie boten uns, als Zeichen ihres Wohlwollens, ihre Technologie an, die sie über Jahrmillionen in den Tiefen der Erde optimiert hatten, ohne jedwede Gegenleistung. Sie zerrten ihre größten Wunder auf riesigen Schienen ans Tageslicht, auf dass die Menschen (und damit meine ich hauptsächlich das Militär) sie abholen konnten. Sie sagten, sie wollten keine Eroberer sein, keine Herrscher, sondern einen beidseitigen Bund mit den Oberflächlern eingehen. Zu sagen, wir wären ihrem Angebot nicht abgeneigt, ist wohl eine Untertreibung. Immerhin, man muss doch wenigstens den Feind kennen, um auf ihn vorbereitet zu sein, oder? Auch, wenn die Geste nett gemeint war und sie die Welt mehr oder weniger beruhigte, das Ergebnis blieb nüchtern. Zwar wurde zwei Wochen nach dem ersten Export ein Friedensabkommen von allen Ländern der Oberfläche mit den Tiefen geschlossen, doch waren wir enttäuscht, als wir feststellten, dass ein Handelsmarkt zwischen uns im Grunde nutzlos war. Wir hatten jetzt zwar den Zugang zu ihren kupferfarbenen Maschinen, die Strom aus bloßem Meerwasser erzeugten, ihren schillernden, singenden Klingen aus Cobalt und fluoreszierenden Chitin, welche durch Steine schnitten wie Butter, doch waren wir, um es ehrlich zu sagen, einfach zu dumm, um sie allein zu bedienen. Sie konnten es uns noch so oft vorführen, doch fehlte selbst den begabtesten Ingenieuren das Feingefühl, um die unsichtbaren Magnetströme der Apparate zu steuern. Das blaue, lautlose Feuer, mit welchen sie ihre Wunden heilten, verbrannte unsere Haut und selbst die riesigen Früchte und Pilze, die sie in kompletter Dunkelheit anbauten, wären für uns giftiger als Zyanid. Im Gegenzug haben wir ihnen versucht, unsere größten Erfindungen, also Smartphones und Computer zu erklären. Ich kann mir allzu gut vorstellen, wie klein und dumm sich die schlausten Köpfe der Menschheit gefühlt haben mussten. Die Tiefen schienen die digitalen Bilder nicht einmal sehen zu können. Sie verstanden das Konzept von Musik nicht, runzelten die Stirn über jede Form von Wissenschaft, Philosophie und Glaube gleichermaßen, und wenn wir ihnen illustrierte Bilder von Gewalt zeigten, sahen sie uns einfach nur an, mit ihren Kreideaugen, als würden die dargestellten Menschen etwas tun, was nicht nur unsinnig, sondern auch nicht nachvollziehbar war. Ihre Sprache, obgleich sie nicht unlernbar für einen Menschen war, lässt sich mit keiner Oberflächensprache vergleichen. Es gab keine wirklichen Zeitformen, kein Präsenz oder Präteritum, aber dafür sechzehn verschiedene Geschlechter. Wer hätte jemals denken können, dass Schüler auf einmal mit Freuden Latein als Fremdsprachenfach wählen würden? Ich vermute, dass unsere Psychen einfach zu unterschiedlich waren, um einander wirklich verstehen zu können. Nichtsdestotrotz, oder vielleicht auch deswegen, integrierten sie sich allmählich. Da war ich 16, glaub ich. Sie luden uns in ihre aus Stein geschlagenen Metropolen in Gebirgswänden ein, liefen barfuß durch unsere Großstädte und studierten das an uns, was ihnen fremd war, so gut, wie sie es konnten. Es waren nur wenige, aber im Großen und Ganzen kamen wir gut miteinander aus, wir und unsere unterirdischen Cousins, die so lange im Schatten gelebt hatten. Natürlich gab es immer noch die krakeelenden, unverbesserlichen Rassisten, wie sie es schon immer gab. Die Tiefen verübelten es uns nicht. Keiner war in ihren Augen besser oder schlechter. Nur anders. Jede Nation hatte durch die Hysterie ihre größten Konflikte zur Seite gelegt und die Salzwasserschlucker aus der Tiefe versorgten die Welt mit sauberer Energie. Immer noch waren wir misstrauisch, denn die Aufteilung der Welt schien noch lange nicht vollendet worden zu sein. Wie sich ihre Gesellschaft verändert hatte, blieb ein Mysterium, aber die wenigen, die sich komplett in die Menschenstädte wagten, waren ruhig, wissbegierig und zuvorkommend. Sie lächelten nicht, zeigten keine Wut. Es schien fast so, als wären sie alle perfekte, altruistische Stoiker, die uns nie gefährlich werden könnten. Doch dann erfuhren wir von dem Ding, was sie in ihren Laboren züchteten. Ich war im Raum, als der General uns die Bilder zeigte, die unser Spion aus einer ihrer Städte im Uralgebirge aufgenommen hatte. Es war nicht richtig von uns, sie zu bespitzeln, aber wir hatten uns selbst davon überzeugt, dass es notwendig war und dass sie es uns sicherlich gleichtaten. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob sie so etwas wirklich nötig hatten. Wir sahen Fotos von Dokumenten in ihrer sonderbaren Runenschrift, die den Zerfall der menschlichen Zellen beschrieben. Zersetzte, organische Materie, die in einem Tank aus roter Flüssigkeit schwamm. Ganze Menschenskelette, die mit schmerzerfülltem Gesichtsausdruck an steinernen Liegen gebunden waren, wie Opfergaben auf einem Altar. Vorbereitungen für einen Virus, wie uns die Obrigkeit erklärte, eigens dafür gemacht, den Menschen zu befallen. Wobei Virus vielleicht der falsche Begriff ist, denn vermutlich hatte ihre Forschung ebenso wenig mit Mikroorganismen gemeinsam wie ihre Strommaschinen mit unseren Kraftwerken. Wir waren nicht wirklich schockiert darüber, dass sie uns vernichten wollten. Wozu hätten wir sonst ihre Berge im Auge behalten, wenn wir nicht annahmen, dass sie uns in den Rücken fallen würden. War es überhaupt möglich, dass eine Art sich so weit entwickeln konnte, ohne ein Mindestmaß an Aggressivität zu zeigen? Was wussten wir eigentlich über die Unterirdischen? Hatten sie uns je ihre Geschichte erzählt? Ihr Rechtssystem, ihre Kultur, all das hatten wir noch nicht verstanden. Sie hatten es uns nie erklärt. Also, natürlich mussten wir damit rechnen, dass sie etwas planten, um sich, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Platz an der Sonne zu sichern. Es wurde nicht einmal darüber diskutiert, ob wir den Spieß umdrehen sollten. Das soziale Experiment war gescheitert, die Koexistenz nicht mehr möglich, nach diesem unverzeihlichen Verrat, der nie an die Öffentlichkeit dringen durfte. Alle Abgeordneten, darunter auch ich, stimmten zu, dass sich das Problem nur mit einem folgenreichen Schlag lösen würde. Wir waren die Vielen, sie die Wenigen. Ein kleineres Genozid, um ein größeres zu verhindern. Ich... ich bin nicht stolz darauf, was wir als nächstes taten. Es gab da... diese Maschine, eine von denen, die sie uns zu Anfang des Kontakts geschenkt hatten. Ein seltsam geformter Zylinder aus Buntglas und getrockneten Mineralien, dessen einzigartiger Nutzen es war, chemische Stoffe in ihr Gegenteil zu verwandeln. Säuren wurden zu Laugen, verbrannter Kohlenstoff ging wieder in Flammen auf und organische Stoffe... nun, lassen wir die Einzelheiten. Von allen Maschinen jedenfalls, die sie uns am Ende der großen Hysterie zur Verfügung gestellt hatten, waren unsere Wissenschaftler besonders von diesem Gerät fasziniert. Es lief nicht auf dem gleichen Magnetstrom wie ihre Lichtmacher, ihre Rubinkutschen oder Quarzschredder. Der Automat war einfacher zu bedienen, für einen Menschen verständlich. Der Spion, der sich Zugang zum Labor im Ural verschafft hatte, schwor, dass neben anderen hochkomplexen Apparaturen auch ein solcher Glaskasten vorhanden war, und er versicherte uns, dass er ihn bedienen konnte. Was auch immer diese Seuche war, die in den Phiolen der Unterirdischen reifte, wenn sie darauf konzipiert war, uns zu vernichten und sie zu verschonen, würde ihr Gegenteil doch sicherlich zu unserem Vorteilen sein. Er stellte sich dazu bereit, diese Verantwortung zu übernehmen und die Tiefen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sonst würden sie, so die Dokumente, in wenigen Tagen die Krankheit auf die Menschheit loslassen. Ich erinnere mich noch gut an den Gesichtsausdruck des Mannes, der bereit war, eine ganze Rasse zu vernichten. Selbstsicher, wütend und zu allem bereit. Der Plan war einfach, wenn auch nicht ungefährlich. Wer weiß schon, was diese Monster mit ihm machen würden, wenn sie von seiner Tat erfahren würden. Wir erlaubten es ihm dennoch. Der umgekehrte Virus wurde an einem Montag in die Welt gelassen. Von dem Spion haben wir nichts mehr gehört, wahrscheinlich hatte er seine Entschlossenheit mit dem Leben bezahlt. Am Mittwoch hörten wir auf, Signale aus den Steinstädten zu bekommen. Weltweit brachen die Maschinen aus der Tiefe zusammen, die einst mächtigen Magnetströme lösten sich in Nichts auf. Die wenigen Unterirdischen, die sich an die Oberfläche getraut hatten, wurden förmlich von dem überrollt, was wir über sie gebracht hatten. Live beobachtete ich, mit den anderen Staatsoberhäuptern, von einem sichereren Raum aus, wie eine ganze Spezies dahingerafft wurde. Weißes, milchiges Blut floss ihnen aus ihren Mündern und Nasen, ihr Fleisch begann von ihren Knochen abzufallen und ihre Augen färbten sich schwarz, ehe sie zu Asche zerbröselten. Noch nie habe ich mich je in meinem Leben so schrecklich gefühlt, dass ich, ein Mann, der zwischen den Welten vermitteln wollte, zusah, wie Männer, Frauen und Kinder der Tiefen aus der Existenz gerissen wurden durch etwas, was wir nicht einmal verstanden. Sie schrien nicht, das war nicht ihre Art. Sie standen einfach nur da und sahen mit leerem Gesichtsausdruck zu, wie dieses Ding ihren Organismus zerfraß. Ich frage mich, ob sie Schmerzen hatten. Ich frage mich, ob sie Angst hatten. Oder unterschied sich ihre Beziehung zum Tod ebenso sehr von unserer wie alles andere? Am Freitag der selben Woche gaben wir offiziell bekannt, dass es keine Unterirdischen mehr gab. Es wurde darüber im Geheimen abgestimmt, ob wir der Welt davon erzählen sollten, welchem Schicksal wir um Haaresbreite entkommen waren, doch schien es allen am Ende sinnvoller, dass die Menschheit die kurzen Jahrzehnte, in welcher sie sich die Erde teilen musste, vergessen sollte, bis die kohlschwarzen Kreaturen aus dem Untergrund irgendwann schließlich ins Reich der Mythen und Sagen zurückkehrten. Das war also das Ende vom Lied, dachte ich. Keine großartigen Maschinen mehr, keine Monster. Aber hier kommt die Sache, die wir immer schon ausgeblendet haben, ins Spiel: Wir haben die Unterirdischen nie verstanden. Und das, was sie gezüchtet haben, erst recht nicht. Heute ist Sonntag. Heute, vor genau drei Stunden, sind die Berggipfel explodiert. Hunderte funkelnde Flugschiffe, die mehr Ähnlichkeit mit mechanischen Insekten als mit unseren Kampfjets haben, schnellten aus dem Erdinneren. Während ich dies aufzeichne, lassen sie flüssiges Methan auf die Städte regnen, fluten die Täler mit Quecksilber, verzerren ganze Landstriche in ihr Gegenteil. Am Boden marschieren Soldaten in strahlungsfesten Rüstungen mit bunten, lichtspeienden Speeren und unaufhaltsamen Strahlenwaffen. Unsere Wissenschaftler können sich nicht erklären, wie das möglich ist. Der Zylinder, den unser Agent aktiviert hat, sollte den Virus auf sie übertragen, sie bis auf den Letzten auslöschen. Sie sollten alle tot sein! Ich habe aufgegeben, einen Sinn zu suchen. Vielleicht waren die Informationen des Spions fehlerhaft, vielleicht haben sich einige in den Tiefen der Erde versteckt, es ist egal. Es war anmaßend von uns, zu glauben, wir würden es verstehen. Dass wir sie aufhalten könnten. Hätten wir versuchen sollen, mit ihnen zu reden, statt sie abzuschlachten? Oder wäre das hier eingetreten, egal, was wir getan hätten? Scheiße, was haben wir nur übersehen? Der Computer zeigt an, dass riesige Tsunamiwellen auf die Küsten der Kontinente zu rasen und unbekannte Insektenschwärme die Getreideflächen des Inlands verzehren. Einige von uns haben bereits vor der Zerstörung resigniert, sitzen apathisch in ihren Sesseln. Egal, wie schmerzhaft das Ende der Unterirdischen war, es ist eine Gnade gegen all dieser Zerstörung. Draußen herrscht ein Krieg, und es sieht nicht so aus, als würden unsere Bemühungen etwas nutzen. Ich zeichne diese letzten Minuten der Zivilisation auf, in der Hoffnung, dass sie eines Tages von Menschen gefunden werden und nicht von diesen... Bestien, die nun unsere Erde ruinieren. Es gibt kein Zurück mehr, keinen Ausweg. Schätze, das war's wohl mit uns.