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  • Die schlimmste Nacht
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  • Damals, als ich den schlimmsten Tag meines Daseins erlebte, war ich gerade 40 Jahre alt geworden und befand mich in Scheidung. Das hinter mir liegende Jahr war hart gewesen und so beschloss ich, mit meinem 8-Jährigen Sohn Sam eine Auszeit zu nehmen. Einfach Wegfahren, raus in die Natur, mit Proviant und Zelt "bewaffnet". Mein Sohn war furchtbar enttäuscht: "Papa! Ich dachte, wir gehen zel-ten, Papa! Das Hotel ist doof, hier gibt es gar keine Abenteuer und Monster." Ich musste lächeln. Das war mein Kind, furchtlos wie immer: "Keine Sorge, kleiner Mann. Morgen finden wir ein Abenteuer."
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  • Damals, als ich den schlimmsten Tag meines Daseins erlebte, war ich gerade 40 Jahre alt geworden und befand mich in Scheidung. Das hinter mir liegende Jahr war hart gewesen und so beschloss ich, mit meinem 8-Jährigen Sohn Sam eine Auszeit zu nehmen. Einfach Wegfahren, raus in die Natur, mit Proviant und Zelt "bewaffnet". Wir fuhren früh los, um nicht gleich nach einer Stunde wieder unser Zelt aufschlagen zu müssen und schafften tatsächlich ein ganzes Stück Weg an diesem ersten Tag. Trotzdem hatten wir Pech: Weit und breit war kein schöner Zeltplatz zu finden und so mussten wir als es dunkel und Sam langsam müde wurde, doch in einem Motel in der Nähe der Landstraße absteigen. Mein Sohn war furchtbar enttäuscht: "Papa! Ich dachte, wir gehen zel-ten, Papa! Das Hotel ist doof, hier gibt es gar keine Abenteuer und Monster." Ich musste lächeln. Das war mein Kind, furchtlos wie immer: "Keine Sorge, kleiner Mann. Morgen finden wir ein Abenteuer." "Versprochen?" "Versprochen! Aber dann solltest du jetzt schlafen gehen, sonst verschläfst du morgen die ganze Fahrt und kannst garnicht Ausschau halten." Das ließ er sich nicht zweimal sagen und bald schliefen wir beide tief und fest in den ungemütlichen, muffigen Betten. Die Nacht war schnell und ruhig vergangen und wieder brachen wir sehr früh auf. Diesmal schienen wir mehr Glück zu haben denn nach und nach wurde die Landschaft vor den Autofenstern wurde immer schöner, als sich dichte Wälder um uns ausbreiteten. Sam hing begeistert an der Scheibe und rief von Zeit zu Zeit - eigentlich jedes Mal, wenn sich ein Waldweg auftat - "Hier! Abbiegen!". Irgendwann gab ich nach und bog auf einen schmalen Weg ab, der gerade so ausreichte, um meinen Geländewagen durch das Dickicht zu lenken. Zu unserer Überraschung endete der Weg auf einer kleinen Lichtung, die nicht aussah, als hätte sie in letzter Zeit ein Mensch betreten. Sam sprang aus dem Auto, kaum dass ich es anhalten konnte. "Es ist so wun-der-schöööhn!", er strahlte mich an und stürzte zum Kofferraum, um unsere Zelt herauszuzerren. Ich atmete tief durch und freute mich. So hatte ich mir diese Auszeit wirklich vorgestellt. Es wurde schon langsam dunkel, also begann ich, das Zelt aufzubauen. Die Bäume warfen lange Schatten auf die Lichtung und trotz meiner Euphorie fühlte ich etwas Seltsames. Nicht unbedingt eine Bedrohung, ich war schließlich erwachsen, aber irgendetwas war da, was sich seltsam anfühlte. Wie Augen, die auf uns gerichtet waren. Als wir endlich im Zelt saßen, schien auch Sam sichtlich nervös. "Glaubst du, hier im Wald leben viele Monster?", unbehanglich sah er sich um und beobachtete die Schatten, die unsere Taschenlampen an die Wände malten. Ich grinste: "Ich dachte, auf die hast du dich besonders gefreut." Sam zog eine Schnute und stieß mir den Ellenbogen in die Seite: "Papaa...ich hab keine Angst, aber..." Erwartungsvoll schaute ich ihn an. "...ich hab vorhin Jemanden im Wald gesehen. Da stand Einer, ganz bestimmt!" "Du hast nur einen Schatten gesehen, kleiner Mann." , ich lachte, aber mein Hals fühlte sich trocken an. Sam knipste seine Taschenlampe aus und starrte in die Dunkelheit. "Das isses gewesen...", murmelte er und schloss die Augen. Als er schlief, starrte ich noch eine Weile in die Dunkelheit. Draußen knackten Äste und der Wind jammerte leise in den Baumkronen. Oder...war es etwas anderes. Plötzlich klang es für mich garnicht mehr, wie der Wind. "Sie weint...", dachte ich verwirrt, während ich in den Schlaf hinüberglitt. Der nächste Tag war entspannt. Wir fuhren ins nächste Dorf und kauften Proviant. Die Menschen, die uns begegneten waren freundlich, vorallem zu Sam, aber auch distanziert. Man merkte, dass nicht viele hier vorbeikamen und man nicht viel rauskam aus der Gegend, wenn man hier lebte. Niemand wechselte mehr Worte mit uns, als er musste, auf eine höflich-ablehnende Weise. Zurück auf der Lichtung gingen wir Feuerholz holen, inzwischen war es später Nachmittag. "Ich geh da lang!", mein Sohn machte sich halb rennend auf den Weg ins Dickicht. "Lauf nicht so weit weg!", brüllte ich ihm hinterher. Eine Weile sammelte ich für mich allein ein bisschen Holz zusammen, dann ging ich Sam suchen. Als ich mich durch das dichte Unterholz wand, hörte ich plötzlich das Lachen meines Sohnes. "Wir kommen von gaaanz weit weg! Ganz weit!", seine Stimme klang nah, aber es dauerte eine Weile, bis ich seinen blonden Haarschopf zwischen den Bäumen ausmachen konnte. Doch er war nicht allein. Neben ihm stand eine Frau. Sie wirkte etwas deplatziert hier. "Samuel?", Sam fuhr erschrocken herum, doch als er mich sah, begann er breit zu grinsen. "Da bist du ja, Papa. Guck mal!", er griff nach der Hand der jungen Frau, die erschrocken zusammenzuckte und zog sie zu mir herüber: "Ich hab eine Freundin gefunden." Ich betrachtete die Frau zweifelnd. Sie wich meinem Blick aus, der etwas schlecht geshnittene schwarze Pony ihrer kurzen schwarzen Haare verdeckte das unnatürlich bleiche Gesicht zur Hälfte. Als sie aufsah, entdeckte ich die tief eingegabenen dunklen Ringe unter ihren stahlgrauen Augen. Sie wäre hübsch gewesen, wirkte jedoch eingefallen und müde. Das mit Erde befleckte, rote Sommerkleid unterstrich den etwas heruntergekommenen Eindruck. Nervös zog ich meinen Sohn an meine Seite und drückte ihn an mich: "Wer sind sie? Was...was tun sie hier?" Die Frau vermied immernoch Augenkontakt. "Magret mein Name...ich wollte nur etwas suchen...suchen...ich suche Pilze, ja genau das." "Am Abend, so tief im Wald?" "Ja, nicht wahr", ihr Lachen war trocken und schüchtern...oder nervös...: "Es ist spät geworden. Ich wollte Niemanden belästigen, es tut mir leid. Ich muss jetzt gehen." Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stolperte hastig zwischen die Baumstämme. Sam hob die Hand. "Auf Wiedersehen, Magret. Tschüss! War schön, dich...oh.", sein Gesicht nahm einen unzufriedenen Ausdruck an. Vorwurf schlich sich in seine blauen Kinderaugen: "Du hast sie verscheucht, Papa. Dabei war sie so lieb." Ich nickte: "Wirklich schade. Sam...ich glaube, wir packen zusammen und fahren weiter. In der Stadt gibt es ein schönes Hotel, bestimmt auch mit Pool!". Sam lachte: "Ach was. Du hast doch nur Angst vor Monstern! Heute Nacht pass ich auf, versprochen." Er überredete mich, aber das ungute Gefühl ließ sich nicht mehr Vertreiben. Als ich, spät in der Nacht, einschlief hatte ich vorher lange gelauscht. Auf das Weinen der vergangenen Nacht, das trockene Lachen der jungen Magret...ich wusste es nicht. Und ich hörte auch nichts. Ihre grauen Augen jedoch, der verzweifelte Blick jedoch verfolgten mich in meinen Träumen. Irgendwann, ich wusste nicht, wieviel Uhr es war, wurde ich schweißgebadet aus dem Schlaf gerissen. Was war geschehen? Panisch tastete ich nach meiner Taschenlampe, neben mir wo...mein Sohn lag. Oder besser nicht lag. Sam war nicht mehr im Zelt. Kaum schaffte ich es, Licht zu machen, während ich mich Zitternd aus dem Ausgang wand."SAM! SAMUEL WO BIST DU???!", meine Stimme war laut, doch immernoch viel zu leise. Blindlings schlug ich mich ins Unterholz, nichts an meinen Füßen. Meine Beine uns Fußsohlen rissen auf, Äste und Zweige schlugen gegen meinen Körper, doch ich spürte nichts: "SAM!" Ich wusste nicht, wie lange ich gerannt war und in welche Richtung, als sich das Haus vor mir auftat. Es schien verlassen zu sein, doch in einem der Fenster flackerte ein schwaches Licht. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zum Eingang und rüttelte an der Tür, die alt und verrostet war. Nur mit größter Kraftanstrengung ließ sie sich schließlich aufdrücken. Als sich eintrat, bot sich mir das Bild, das diese unsägliche Nacht zur schlimmsten meines Lebens werden ließ, das Bild, dass sich bis heute wie ein Brandzeichen in meine Seele und meine Netzhaut gefressen hat. Der Alptraum eines jeden Vaters, einer jeden Mutter. Es war grauenerregend: In mitten des kleinen, schwach beleuchteten Raumes stand ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Stuhl saß Magret, das Kleid nun mit mehr als nur Erde befleckt, erstarrt in ihrem abartigen Tun. Auf dem Tisch lag mein Sohn. Hätte ich nur sein Gesicht gesehen, hätte ich gedacht, er schliefe. Doch er schlief nicht, denn der Rest seines Körpers glich einer einzigen Wunde! Alles, was sich in ihm befunden hatte, Organe und Gedärme, waren entfernt und lagen auf dem Boden, in ihrer Mitte, ein blutverschmiertes Jagdmesser. Sein Herz jedoch befand sich in Magrets Händen und ihre Zähne, die, wie ich nun erkannte, ebenso scharf waren wie das Messer und mehr denen eines Tieres glichen, waren in eben diesem Moment, sich in eben jenes kleine Herz hineinzubohren. Ich fiel auf die Knie und übergab mich. "Mein Junge, mein kleiner Junge...". Meine Worte waren ein erbärmliches Stammeln. Obwohl ich irgendetwas hätte tun müssen, konnte ich kein Körperteil bewegen. Magret hingegen stand auf, völlig ruhig. In Trance beobachtete ich, wie die Frau meinen Sohn auf die blasse, wahrscheinlich bereits kalte Stirn küsste und dann auf mich zukam. Sie ging in die Knie und streckte eine bluttropfende Hand nach mir aus, hob mein Kinn und sah mir in die Augen. Schmerz zuckte durch meine Brust, als sich ihr spitz bezahnter, schmaler Mund sich zu einem glückseeligen Lächeln verzog. Und dann sagte sie es. "Danke.", es war wie ein Schlag ins Gesicht: " Du hast ihn mir gebracht und keiner von uns beiden muss je wieder einsam sein. Wir sind jetzt sehr glücklich...Danke." Dann stand sie auf und ging. Einfach so, während ich mich noch immer nicht rühren konnte, und ließ mich allein mit der entstellten Leiche meines Kindes. Als ich am nächsten Tag, verstört und blutverschmiert im Dorf bei der Polizei ankam, schien die Sonne wie an jedem anderen normalen Sommertag, als wolle sie mir vorgaukeln, es wäre nichts geschehen. Nachdem ich stundenlang reglos am Boden der Hütte gesessen hatte, unfähig, mich aufzuraffen und meinen kleinen Jungen allein zu lassen, war ich - ich konnte mich kaum errinnern, wie - zurück zu unserem Zeltplatz geirrt, der unberührt und künstlich-friedlich geblieben war, hatte ich es hierher geschafft. Nun saß ich in diesem Büro und lauschte meiner eigenen Stimme, als gehöre sie einem Fremden. "Sie müssen sie finden!", endete ich immernoch verstört: "Ihr Name ist Magret, Magret...so hat sie es gesagt." Der älteste der Polizisten, er mochte so um die 70 gewesen sein, nickte mit versteinerter Miene. Sorgenfalten hatten sich auf seiner fleckige Stirn gebildet, als er etwas schwerfällig aufstand und ans Fenster trat. "Es ist so, Herr Marks...", sein tiefer, müder Seufzer ließ nichts Gutes verheißen: "Wir werden diese Frau nicht finden, zumindest nicht so, dass es uns weiterbringen würde. Sie sind nicht der Erste, der auf diese grauenvolle Weise sein Kind verliert, wir waren uns nur sicher...wir waren uns Alle so sicher, sie hätte ihren Frieden gefunden."