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  • The Devil Within 3
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  • Hochhäuser, die eine weite Straße flankierten. Autos, die wie glänzende Metallkäfer über den dunklen Fluss aus Teer krochen. Das Licht ihrer Scheinwerfer gesellte sich zu dem der Straßenlaternen. Reklametafeln blinkten in den unterschiedlichsten Farben. Schrill und grell. Die Shift Avenue war eine der beliebtesten Einkaufsstraßen in London und vor allem eines: überfüllt mit Menschen.
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  • Hochhäuser, die eine weite Straße flankierten. Autos, die wie glänzende Metallkäfer über den dunklen Fluss aus Teer krochen. Das Licht ihrer Scheinwerfer gesellte sich zu dem der Straßenlaternen. Reklametafeln blinkten in den unterschiedlichsten Farben. Schrill und grell. Die Shift Avenue war eine der beliebtesten Einkaufsstraßen in London und vor allem eines: überfüllt mit Menschen. Ältere, knorrige Männer, welche mit Aktentaschen von der Arbeit zurück kamen. Junge Frauen, die vor jedem Kleidergeschäft stehen blieben und das Schaufenster genauestens musterten. Teenager, die Musik hörten oder auf ihren I-Phones herum tippten. Kinder, die nach Süßigkeiten schrien und ihre entnervten Müttern am Arm zerrten. Tapp, tapp, tapp. Unter die vielen Schritte mischte sich auch die eines Mädchens mit langem, braunem Haar, das wirbelnd ihren energischen Bewegungen folgte. Sie trug eine zusammen geknöpfte, braune Jacke. Immer wieder blickte sie argwöhnisch über die Schulter. In ihren Augen lag der gehetzte Glanz des Gejagten. Folgte ihr jemand? Hermine hoffte es nicht. Sie mochte zwar einen Ort ausgewählt haben, der für einen Zauberer eher unpassend war - welcher Magier würde schon durch die Shift Avenue gehen? -, aber andererseits war es bekannt, dass sie Muggelgeborene war. War dann nicht auch zu erwarten, dass sie sich dorthin begab, wo ihresgleichen oder wenigstens ihre Eltern lebten? Hermine war furchtbar angespannt. Jeder Schritt hinter ihr ließ sie innerlich zusammen zucken. Jeder Schatten wirkte wie der eines Auroren. Und ständig rechnete sie damit, dass jemand 'Da ist sie!' schrie. Oder sie in eine Falle lief. So musste sich wohl eine Maus fühlen, die durch das Haus schlich und wusste, dass hinter jeder Tür die Katze lauern konnte, bereit ihr mit ausgefahrenen Krallen entgegen zu springen und ihr das Genick zu brechen. Jedes Plakat, das an einem Schaufenster klebte, verwandelte sich in Hermines Augen in das Fahndungsplakat. Wanted, für Mord, Nutzung höchst giftiger Stoffe, Betreibung verbotener Künste. Sehr gefährlich. Bitte nur mit äußerster Vorsicht nähren. Ihr rann ein Schauder über den Rücken. Hermine war von der Jägerin zur Gejagten geworden. Und mit diesem Wissen kamen die Angst, das Misstrauen, die unglaubliche Vorsicht und der Verfolgungswahn. Wie konnte man mit so einem Wissen noch klar denken? Was für eine Zukunft gab es für Hermine jetzt noch? Die hinter Gitterstäben? Momentan beherrschte nur ein einziger Gedanke Hermines Bewusstsein. Lauf! Lauf um dein Leben und lass dich nicht fangen! Sie war alleine. Vollkommen auf sich selbst gestellt. Die Todesser mochten zwar Gesuchte sein und verachtet, aber sie waren nicht alleine. Sie hatten einander. Wenn sie in Gefahr gerieten, so konnten sie sich gegenseitig schützen. Doch sollte die Braunhaarige von irgendwem entdeckt werden, so gäbe es für sie niemanden, der ihr den Rücken frei hielt und sie beschützte. Für Hermine gab es dann nur noch die Flucht. Sie war das einzige, was sie am Leben hielt und voran trieb. Das Mädchen bog um eine Ecke und blieb auf einmal stehen. Nachdenklich musterte Hermine den langen, wollenen, simplen, gradlinig geschnittenen, schwarzen Mantel. Er umhüllte einer Puppe in einem Schaufenster den Leib und sonderbarerweise fiel ihre eigene Spiegelung genau darauf. Hermine überlegte. Die Auroren wissen, wie ich aussehe. Sie werden wohl auch annehmen können, wo ich mich vielleicht aufhalten würde. Aber wenn ich anders aussehen würde... Nachdenklich fuhr sie über den braunen Ärmel, griff sich in die langen Locken. Zugegeben, der Gedanke hatte es in sich. Aber vielleicht war es für Hermine die einzige Möglichkeit einer vorzeitigen Gefangennahme zu entgehen. Oder zumindest sie vorauszuzögern. Hermine griff in die Innenseite ihres Mantels. In einer der Taschen dort lag ein kleiner Beutel aus lila-schwarz gestreiftem Stoff, bestickt mit dunklen Perlen. Das Mädchen hatte das Täschchen schon vor Tagen gepackt mit allem Notwendigen für den Fall, dass sie schnell verschwinden musste. Während sie darin herumwühlte, marschierte sie ruhig in den Kleiderladen herein. Nicht mehr eine Fliehende, sondern ein Mädchen, das einen Einkaufsbummel machte. Endlich zog Hermine ihr Portemonnaie raus. Zwar hatte sie dort nur Sickel, Knuts und ein, zwei Gallonen drinnen, aber das war nicht wichtig. Das Wichtige war die kleine, rote, schimmernde Plastikkarte. Die Kreditkarte, die sie zu ihrem vierzehnten Geburtstag erhalten hatte. Hoffentlich ist genug Geld drauf. Das Mädchen entdeckte den Mantel aus dem Schaufenster an einem Bügel neben mehreren weiteren Kleidern. Sie nahm ihn an sich. Hermine strich über den Stoff. Von der Textur war er weicher als der Mantel, den sie gerade trug, aber ansonsten sehr ähnlich. Ich brauche mehr als nur einen Mantel, um das Aussehen zu verändern. Nach fünf Minuten, in denen Hermine sich durch das Sortiment des Kleiderladens gewühlt hatte, landete neben dem Mantel eine eng anliegende, schwarze Hose, ein paar spitz zulaufende, glänzende, dunkle Lederstiefel, ein grauer Pulli und eine Sonnenbrille auf der Theke. Freundlich lächelnd hielt Hermine der Kassiererin die Karte hin. "Könnte ich hier wohl mit Karte bezahlen?", fragte sie sanft, "Geht das?" Ihre IC-Karte wurde durch den Ableser gezogen, dann tippte Hermine ihre Geheimnummer in die Tastatur. Wenig später erschienen auf dem grünlichen Bildschirm die Worte Zahlung erfolgt und das Mädchen konnte die Karte wieder rausnehmen. Mit einer vollen Plastiktüte verließ sie wenig später den Laden. Hermine stand an der Shift Avenue und überlegte. Wo sollte sie nun hingehen? Um den letzten Teil ihres momentanen Plans zu verwirklichen brauchte sie einen Ort, wo sie alleine und ungestört war. Vielleicht sollte sie einfach zu sich nach Hause gehen. Weit wäre es nicht, wenn sie den Bus benutzte. Andererseits: Die Auroren könnten annehmen, dass sie ihr Zuhause als erstes aufsuchen könnte. Nein. Hermine brauchte einen Ort, der ihr Anonymität und Privatsphäre versprach. Wo fand man so etwas? Nachdenklich ließ das Mädchen sich vom Strom der Menschen mit treiben. Ich brauche ein gutes Versteck für die Nacht. Einen Platz zum Ausruhen, wo man mich aber nicht so leicht findet. Kaum zu glauben! Sie dachte bereits in der Sprache der Verfolgten. Wie weit würde dieser Wahn gehen? Wie sehr würde sie sich verändern? Hermine entdeckte ihren Rastplatz, als sie sich der Themse nährte. Kurz vor der Waterloo Brücke bemerkte das Mädchen in einer Nebengasse ein kleines B & B. Das Haus war zwar vor kurzem gestrichen worden, trotzdem wirkte die weiße Farbe irgendwie fahrlässig hingeklatscht. Einige Spritzer bedeckten die Treppe vor der Tür oder die Fensterrahmen. Alles in allem ein leicht vernachlässigter, aber doch gemütlicher Ort, der Flüchtende geradezu zum Verweilen einlud. Perfekt. Hermine stieg die Treppe hoch und trat in das Foyer. Außer einer Theke, hinter der ein mies gelaunter Mann saß, gab es hier nichts von Bedeutung. Auf einem Tisch stand ein halbvoller Zigarrenbecher, daneben mehrere Pappgläser und eine fast leere Flasche Sprudelwasser. "Ja?", grunzte der Mann, als Hermine auf ihn zutrat. "Ein Zimmer für eine Nacht, bitte", bat das Mädchen. "Mit Frühstück oder ohne?", hielt ihr Gegenüber dagegen, während er die kleinen Augen auf einen Bildschirm richtete. Seine Hände huschten über die Tastatur. "Mit", antwortete Hermine. Er kramte in einer Schublade rum und reichte der Braunhaarigen ein Formular. Eine Ecke war abgeknickt. "Hier, unterschreiben." Sein hagerer Finger tippte auf die entsprechende Zeile. Der Kugelschreiber schmierte. Hermine kritzelte den Namen Jean Hawkill hin. Hawkill war der Mädchenname ihrer Mutter. Und dies wusste kaum einer. Sicher ist sicher. Hermine wollte anonym bleiben. Der Mann entriss ihr das Papier und drückte ihr einen kleinen, matt glänzenden Schlüssel in die Hand. "Oberster Stock, dritte Tür links", sagte er, lehnte sich nach hinten und schien wieder mit dem Dösen anzufangen. Seufzend steckte Hermine den Schlüssel in die Tasche und begab sich zu ihrem Zimmer. Dieses passte zu dem Hotel. Es war ziemlich klein und die Tapete fleckig von Feuchtigkeit. Ein muffeliger Teppich erstreckte sich in der Mitte. Das Bett besaß eine so dünne Matratze, dass Hermine sich überhaupt nicht auf die Nacht freute. Irgendwelche Dekorationen gab es in dem Raum nicht. Nur eine Glühbirne, welche wohl nicht mehr das neuste Modell war, hing von der Decke und beschien kläglich den Raum. Eine Sache gab es aber und nur diese war für Hermine wichtig. An einer Wand standen eine Kommode und ein Spiegel. Das Mädchen legte die Tüte auf das Holzbrett und trat an den Spiegel ran. Sie beäugte ihr Antlitz. Ein schmales, leicht ovales Gesicht. Dichte Wimpern, die die dunkelbraunen Augen umrahmten und langes, gelocktes, wallendes, kastanienfarbenes Haar. "Tja, es wird wohl Zeit, dass du jemand anderes wirst, Hermine", flüsterte sie ihrem Spiegelbild beinah liebevoll zu. Dann legte das Mädchen langsam ihren braunen Mantel ab, zog sich aus, bis auf die Unterwäsche. Sogar die Turnschuhe trat sie sich von den Füßen. Neben Hermine landete die Kleidung auf einem unordentlichen Haufen. Noch schien es nicht so, dass sie sich verändert hatte. Trotzdem war es der erste Schritt zur Wandlung. Hermine öffnete die Tüte und holte die frisch gekaufte Kleidung heraus. Sie hatte keinen vertrauten Geruch, nur den Duft von Putzmittel und Neuheit. Nichts, was sie in Verbindung mit jemand anderem bringen konnte. Hermine hielt sich den dunkelgrauen Pullover vor die Brust. Sie musterte sich im Spiegel, versuchte sich vorzustellen, wie diese Person wohl war, welche so etwas trug. Eher still. Schweigsam. Vielleicht auch schüchtern. Das Mädchen zog sich den Pullover an. Als nächstes die schwarze, eng anliegende Hose. Erneut verharrte sie mit einem Blick in den Spiegel, versuchte aus dem entstandenen Zusammenspiel aus schwarz und grau ein weiteres Bild ihres neuen Charakters zu bekommen. Ja, jemand stillschweigendes, das war sie nun. Aber zugleich auch mit einer Ruhe und Autorität. Die Kleidung wirkte zwar nicht edel, aber Hermine hatte eine anmutige Gestalt im Kopf. Anfangs noch weiß wie ein Papier, doch nun füllte sich dieses Selbst mit Farben. Ihr Körper war leicht vornüber gebeugt, während Hermine auf einem Bein balancierte. Die Ferse ihres frei schwebenden Fußes berührte ihre Wade, während die Hände flink wie Wiesel die schwarzen Stiefel anlegten. Sie hatten keine Halterung, man schlupfte einfach in sie hinein. Es gab ein weitaus lauteres Tap als normalerweise als Hermine sich wieder normal hinstellte. Sie griff nach dem Mantel und legte ihn an, zog ihn sehr zu. Nur ein kleiner, heller Halbmond des Pullovers blitzte auf. Hermine besah sich im Spiegel. Selbst wenn sie nun die Sonnenbrille aufsetzten würde, würde man sie an den charaktertypisch langen, braunen Haaren erkennen. Hermine seufzte. Der letzte Schritt gefiel ihr gar nicht. Langsam wanderte eine Hand durch ihre Locken, fühlte die Struktur mit den Fingern. Konnte sie das wirklich tun? Es wäre eine sehr drastische Veränderung in ihrem Aussehen. Es würde eine neue Person aus ihr machen. Aber es ist notwendig. Die Schere war fast so lang wie ihre Hand und schimmerte silbrig und scharf in dem dämmrigen Licht, als Hermine sie anhob. Ganz langsam öffneten die Schneideblätter sich. Ritsch ratsch. Hermine hörte das Auf- und Zuklappen der Schere unglaublich laut. Sie schien sogar das Atmen zu vergessen. Büschelweise fiel ihr das dichte, braune Haar aus. Schließlich legte Hermine die Schere zur Seite. Nun hatte sie weitaus kürzere Haare. Hatten sie früher ihre Schulterblätter vollkommen bedeckt, so reichten sie gerade mal bis zum Ende ihres Halses. Mit flinken Fingerbewegungen band Hermine die Mähne zu einem Zopf, den sie obendrein noch leicht hochsteckte, sodass ein kurzer, buschiger Pferdeschwanz ihren Hals kitzelte. Dann schob Hermine sich die Sonnenbrille über die Augen. Sie stopfte die Perlentasche in die Innenseite ihres Mantels und knöpfte ihn zu. Als am nächsten Morgen das braunhaarige Mädchen, komplett in schwarz gekleidet, auf die Straße trat, war nichts mehr von Hermine an ihr zu sehen. Dieses Mädchen war tot. Sie hieß jetzt Jean Hawkill.