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  • Museum der Erinnerungen – Direktionswechsel
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  • Zeit, für den letzten Rundgang, dachte der Direktor, gleich nachdem er die große Eingangspforte verschlossen und sich noch drei Mal versichert hatte, dass sie auch wirklich zu war. Er ermahnte sich gerne, selbst zur Vorsicht. Nicht, dass es hier, im Museum der Erinnerungen, wirklich wertvolle Gegenstände, die es sich zu stehlen lohnen würde, gäbe – außer vielleicht von persönlichem Wert. Doch es gab andere Dinge, die unter Verschluss und fernab der Welt da draußen, gehalten werden mussten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein Unwissender in den falschen Raum hineinstolperte. So, wie es ihm, dem neuen Direktor einst geschehen war.
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  • Zeit, für den letzten Rundgang, dachte der Direktor, gleich nachdem er die große Eingangspforte verschlossen und sich noch drei Mal versichert hatte, dass sie auch wirklich zu war. Er ermahnte sich gerne, selbst zur Vorsicht. Nicht, dass es hier, im Museum der Erinnerungen, wirklich wertvolle Gegenstände, die es sich zu stehlen lohnen würde, gäbe – außer vielleicht von persönlichem Wert. Doch es gab andere Dinge, die unter Verschluss und fernab der Welt da draußen, gehalten werden mussten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein Unwissender in den falschen Raum hineinstolperte. So, wie es ihm, dem neuen Direktor einst geschehen war. Ein Schauer jagte seinen Rücken entlang, als ihn die Erinnerung einholte, während er langsam durch die leeren Gänge des Museums schlich. Er humpelte auf dem linken Bein. Etwa eine halbe Stunde später, hatte der Direktor jeden Raum noch einmal gründlich überprüft. Je größer die Ausstellung wurde, desto länger wurden auch seine Überstunden, die er in der Nacht damit zubrachte, jeden Winkel abzusuchen. In seiner bisherigen Zeit als Direktor, war es zwar noch nie vorgekommen, dass noch ein Besucher um diese Uhrzeit hier herumirrte, aber er ging lieber kein Risiko ein. Außerdem kannte der Direkter ohnehin nichts anderes mehr, als seinen Beruf hier, im Museum. Aber das war in Ordnung, mehr brauchte er nicht. Das Museum erfüllte ihn und sein Leben, in vollen Zügen und er wünschte sich, nie mehr etwas anderes zu tun, als hier die Leitung inne zu haben, von Stadt zu Stadt zu ziehen, Erinnerungen zu sammeln, zu archivieren, sie der Welt öffentlich machen und… und sie vor den Dunkelsten ihrer Art, zu beschützen. Der Direktor atmete tief ein, als er vor dem letzten Raum stand, den es zu untersuchen galt. Eine kleine, unauffällige Plakette wies auf das hin, was sich hinter der Tür dieses Raumes verbarg. Nun war die Nacht bereits hereingebrochen und Führungen würden garantiert keine mehr stattfinden, doch der Direktor musste den Raum dennoch betreten. Wie jeden Tag, wenn dieser Moment gekommen war, pochte sein Herz wild und sein Atem begann schneller zu gehen. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und Erinnerungen begannen sein Hirn zu durchzucken, ihn mit Bildern zu foltern. Würde das jemals aufhören? Würde er sich jemals, daran gewöhnen? Vermutlich nicht, aber so blieb er wenigstens wachsam. Ob es seinem Vorgänger ähnlich erging? Er würde es niemals erfahren. Der alte Direktor war vor langer Zeit verstorben und er – ein Mann, der einst Francis geheißen hatte – hatte seinen Posten übernommen. Er hatte diese Entscheidung nie bereut, sie hatte sein Leben verändert, ja, aber sie hatte es zudem erst lebenswert gemacht. Vorher… doch nein, das war nicht länger wichtig. Was Francis früher einmal gewesen war, war schon lange Vergangenheit und heute, war er ein anderer Mensch. Plötzlich von neuem Mut gepackt, holte der Direktor seine Schlüssel hervor, schloss die Tür auf griff danach nach dem Türgriff, drückte ihn herab und stieß die Tür auf. Gleich darauf, versank die Welt in einem grellen Licht. Vor Schreck, schrie der Direktor laut auf und taumelte rückwärts. Was war das gewesen? Was hatte das zu bedeuten? War hier jemand unerlaubt eingedrungen? Er versuchte die gepeinigten Augen zu öffnen und stellte fest, dass das grelle Licht verschwunden war, er aber dank der dämmrigen Verhältnisse die hier drinnen herrschten – der Direktor zog es vor, nach Feierabend nur das nötigste an Lampen anzuschalten – kaum etwas sehen konnte, vor allem, da sich seine Augen erst einmal wieder an die Dunkelheit gewöhnen mussten. In der Finsternis, erkannte er einen Schemen. Der Schemen stand inmitten des Türrahmens und rührte sich nicht. Wer war das? Ein Einbrecher? Ein wahnsinniger Fanatiker? Oder schlimmer noch, eine der Erinnerungen? Des Direktors Herz hämmerte gegen seine Brust, er konnte sich nicht rühren, obwohl seine Augen die Gestalt immer besser wahrnahmen und sich ein wohl bekanntes Bild abzeichnete. Er war noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen und musste nun feststellen, dass er auch nicht darauf vorbereitet war. Wäre dies ein ernster Fall – was er, wie er nun feststellte, nicht war – hätte der Direktor womöglich bereits versagt und die Welt einem unausweichlichen Schicksal ausgesetzt. „Nathaniel“, keuchte der Direktor, nun, da er seine Stimme endlich wiedergefunden hatte. Sein Herz raste noch immer, doch langsam beruhigte er sich. „Was zum Teufel, machen sie hier?“ Nathaniel – sein Assistent, den der vorige Direktor hier zurückgelassen hatte – sagte kein Wort, sondern sah nur aus seinen undurchdringlichen Augen, auf den Direktor hinab. Er war recht groß gebaut, gleichwohl aber recht mager. Das dunkle Haar, hing ihm unordentlich ins kantige Gesicht hinab, welches kaum zu einer Gefühlsregung fähig zu sein schien. Die blauen Augen, wirkten stets kalt und distanziert. Dem Direktor, war Nathaniel schon immer ein wenig unheimlich gewesen, doch er hatte sich an seine Anwesenheit gewöhnt und zumindest eines musste man dem Jungen lassen – er war nicht viel älter als dreißig – er machte seine Arbeit und er machte sie gut. Nathaniel übernahm so ziemlich jede Aufgabe, die im Museum anfiel und tat noch weitaus mehr, wenn es gerade nichts anderes zu tun gab. Beispielsweise, führte er Buch über jede Erinnerung und damit waren nicht die bloßen Bestände gemeint. Er archivierte die Erinnerungen nicht nur, er schrieb über sie, beschrieb sie, die Umstände, die sie hierhergeführt hatten und was sie mit ihren ehemaligen Besitzern verband. Wenn es keine klare Herkunftsgeschichte gab, ließ er seiner Fantasie spielen und machte eine regelrechte Kunst daraus, sich immer neue Welten zu den Erinnerungen zu erdenken. Es war faszinierend und ein wenig angsteinflößend zugleich, da der Direktor sich mehrmals fragen musste, welche Albträume diesen jungen Mann quälen musste, der er sich solche Geschichten ausmalen konnte. „Nathaniel, hören Sie mich?“ Der Direktor, machte einen Schritt auf den jungen Mann zu, ehe er jäh verharrte, als der Gegenstand in seiner Hand in sein Blickfeld fiel. „Nathaniel?!“, fragte er entsetzt. „Was… wieso…“ Erst jetzt, schien der Assistent seinen Arbeitgeber gehört zu haben. Ruckartig fuhr sein Kopf nach unten, damit er den Gegenstand betrachten konnte, der da regungslos in seiner schlaffen Hand lag. Nathaniel musterte den Gegenstand einen kurzen Moment, ehe er den Blick wieder hob, dieses Mal langsam und bedächtig. Seine Augen hatten sich nicht verändert, sie waren immer noch wie ein unergründlicher, tiefer See, in dem ein jeder zu ertrinken drohte, der es wagte, in ihn hineinzusteigen. Nathaniel zuckte mit den Schultern, machte auf dem Absatz kehrt und ging in den Raum, der dunklen Erinnerungen zurück. Zu verwirrt und schockiert, konnte der Direktor nicht sofort reagieren. Sein Hirn versuchte zu begreifen, was er da gerade gesehen hatte und vor allem, was geschehen war. Hatte Nathaniel es wirklich gewagt, eine dunkle Erinnerung aus ihrem Kasten zu nehmen? Nein, das konnte nicht sein, so etwas würde er nicht tun. Er wusste doch, um die Konsequenzen, die ein solches Handeln nach sich ziehen konnte! Und dann auch noch ausgerechnet die Kamera! Moment… die Kamera? Nein, das konnte nicht sein. Oder doch? Der Direktor brauchte Gewissheit. Auch, wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, folgt er Nathaniel in den Raum mit den dunklen Erinnerungen. Gerade noch rechtzeitig, um mit anzusehen, wie dieser die Kamera zurück auf ihren Platz legte und den Schaukasten schloss. „Also doch“, hauchte der Direktor und sagte dann lauter: „Nathaniel, was haben Sie sich dabei gedacht?“ Nathaniel schloss gewissenhaft das Schloss und überprüfte es noch einmal, ehe er sich aufrichtete und dem Direktor zuwandte. „Nur eine Routineüberprüfung, Sir.“ „Eine… Routineüberprüfung…?“, stammelte der Direktor, der seinen Ohren kaum traute. „Was für eine Routineüberprüfung? Haben Sie eigentlich eine Ahnung…“ „Natürlich habe ich das, Sir“, unterbrach Nathaniel den Direktor so höflich, wie es ihm möglich schien. „Ich beschäftige mich Tag für Tag, mit diesen Gegenständen, ich weiß was ich tue.“ „Aber…“ „Aber was?“ Der Direktor riss erschrocken die Augen auf, noch nie, hatte Nathaniel es gewagt, so mit ihm zu reden. „Ich weiß, Sie haben Angst vor diesen Dingen, Herr Direktor, doch sollten Sie wissen, dass ich hier schon ein wenig länger als sie arbeite und mich entsprechend auch länger mit diesen Gegenständen auseinandersetzen musste. Ihnen mit Angst zu begegnen ist… löblich, da sie zur Vorsicht ermahnt. Sie sollten allerdings darauf achten, dass diese Angst, sie nicht verzerrt. Andernfalls, werden es diese Erinnerungen früher oder später tun. Oder haben Sie etwa schon vergessen, was damals geschehen ist?“ Unweigerlich blickte der Direktor an sich hinab und betrachtete sein linkes Bein. Nein, er hatte es nicht vergessen. Ganz im Gegenteil, er wurde jeden Tag aufs Neue daran erinnert. „Warum, haben Sie mich mit der Kamera geblendet, Nathaniel?“ Weiter darüber zu diskutieren, wie mit den Erinnerungen zu verfahren war, erschien dem Direktor reichlich fruchtlos. Nathaniel war niemand, der sich schnell auf Diskussionen einließ, vor allem nicht, wenn sie sich um die Ausstellungsstücke drehten. Zudem wurde er nicht müde zu erwähnen, dass er schon länger als der Direktor hier arbeitete und auch wenn er stets bemüht war, ein gewisses Maß an Höflichkeit zu zeigen, machte er doch keinen Hehl daraus, was er von dem neuen Direktor hielt. Nathaniel zuckte mit den Schultern. „Nur ein kleiner Scherz.“ Doch er wirkte alles andere, als zu Späßen auferlegt. Strenggenommen, fragte der Direktor sich unweigerlich, ob Nathaniel überhaupt wusste, was Spaß eigentlich bedeutete. „Ein Scherz?“, hauchte der Direktor, er war sprachlos. Den Assistenten schien das nicht zu stören, so er es denn überhaupt bemerkte. Erneut wandte er sich von seinem Arbeitgeber ab, ging ein paar Schritte und blieb dann vor einem weiteren Ausstellungsstück stehen. „Dieses hier, gefällt mir besonders gut“, murmelte er, gerade laut genug, dass der Direktor es noch verstehen konnte. Bei der Erinnerung, handelte es sich um einen schlichten Stuhl. Gefunden hatte man ihn, in einem abgebrannten Haus. Das Seltsame war, dass dieser Stuhl, sowie ein Umkreis von etwa einem halben Meter um ihn herum, vom Feuer verschont geblieben waren. In dem Haus, waren zwei Leichen gefunden worden, ein Mann und seine Tochter. Der Tochter hatte man die Hand abgehackt, dem Mann den Schädel mit einer Axt gespalten. Gleichwohl wurde in der Stadt ein junger Mann vermisst, der spurlos verschwunden war. Er hatte eine Beziehung mit dem Mädchen geführt und man vermutete, dass er etwas mit den Morden zu tun hatte. Als der Direktor von diesem Vorfall gehört hatte, hatte er kurzerhand entschlossen sich das Ganze einmal anzusehen und war bei der Untersuchung zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Fall etwas nicht mit rechten Dingen vorgegangen war. Nachdem die Untersuchungen von offizieller Seite aus abgeschlossen worden waren – man hatte den Jungen nie gefunden und den Fall schließlich zu den Akten gelegt – war er in Besitz des Stuhls gelangt und verwahrte ihn seither hier, bei den restlichen dunklen Erinnerungen. Der Direktor erwachte aus seiner eigenen Erinnerung, an diesen Fall und erstarrte sogleich vor Schreck. „Was tun Sie da?“, wollte er schreien, brachte jedoch nicht mehr als ein Flüstern hervor. Nathaniel hatte es sich auf dem Stuhl bequem gemacht und starrte geradeaus. Kaum vernahm er die Stimme des Direktors, drehte er langsam den Kopf in seine Richtung und blickte unschuldig drein. „Sie schienen mir ein wenig geistesabwesend, also habe ich es mir bequem gemacht.“ „Kommen Sie da sofort runter!“ Langsam fand der Direktor seine Stimme wieder, auch wenn er ein leichtes Zittern der selbigen nicht unterdrücken konnte. Doch Nathaniel hörte ihm gar nicht zu. Er wandte sich wieder ab und sprach dabei weiter. „Ich glaube ich verstehe nun, was der Junge gefühlt hat, als er hier gesessen hat. Das Feuer um sich herum, die Leiche des Mannes, den er so sehr fürchtete vor sich… und dann: Nichts. Seltsam, was ist danach geschehen? Er scheint irgendwie… verschoben.“ „Wovon reden Sie da?“ Der Direktor wollte auf seinen Assistenten zugehen, ihn packen und von dem Stuhl runterzerren. Am besten war es wohl, ihn gleich ganz aus dem Museum zu entfernen und ihm seine Kündigung auszusprechen. Doch er tat nichts dergleichen. Er blieb einfach stehen, fassungslos und von immer weiter anwachsender Panik erfüllt, die er sich selbst kaum erklären konnte. „Sie verstehen es einfach nicht, oder?“, seufzte Nathaniel. „Diese Dinge, diese Gegenstände, diese Erinnerungen, sie können mir nichts anhaben. Sie können einen Toten nicht verletzen.“ „Einen… einen Toten?“ „Ja, denn das bin ich. Ein Toter. Innerlich zumindest. Mein Körper arbeitet natürlich, dass sehen Sie ja. Tag für Tag sehen sie, wie ich arbeite und arbeite und nichts anderes tue, als arbeiten. Genauso wie Sie. Und aus mehr besteht mein sogenanntes Leben nicht mehr. Wobei, wenn ich es mir recht überlege, hat es nie aus etwas anderem bestanden. ich arbeite, ich funktioniere, für andere, für ihn.“ „Für… wen?“ „Ihn. Er, der er sich meiner bedient. Er, für den ich schreibe. Er, der das Leben führt, das meines sein sollte!“ Die letzten Worte schrie Nathaniel heraus, was den Direktor unweigerlich zusammenzucken ließ. Es war das erste Mal, dass er ihm überhaupt eine Gefühlsregung angesehen hatte. „Nathaniel ich… lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Der Direktor fasste all seinen Mut zusammen und machte einen Schritt auf seinen Assistenten zu. Es war offensichtlich, dass er unter einer Art Krankheit litt, einer Psychose. „Sie können mir nicht helfen, Herr Direktor und dass will ich auch gar nicht. Ich kann mir nur selbst helfen und das werde ich. Eines Tages. Aber nicht heute. Es wird Zeit, dass wir Feierabend machen, meinen Sie nicht?“ Nathaniel sprang plötzlich von dem Stuhl herunter, doch anders als angekündigt, machte er sich nicht auf um Feierabend zu machen, sondern ging auf eine weitere dunkle Erinnerung zu. Der Direktor wollte ihm hinterher, wollte ihn aufhalten, ehe er noch eine Katastrophe auslöste, doch noch immer war er wie gelähmt, konnte sich nur schwerfällig rühren und noch schwerfälliger denken. Als Nathaniel an dem kleinen Schaukasten angelangt war, blieb er stehen und hob die Hand, um mit dem Finger sacht über das Glas zu streichen. „Hinter dein Geheimnis, kommen wir auch noch“, flüsterte er und lachte dann leise in sich hinein. Es war ein grauenhaftes Lachen, das dem Direktor das Blut in den Adern gefrieren ließ. Nathaniel drehte sich um und nickte ihm zu. „Auf Wiedersehen, Herr Direktor. Bis morgen.“ Dann wandte er sich wieder ab und machte sich davon.